Verhandlungstermin
Die Erlösung kam für mich völlig unverhofft: Mein Anwalt teilte mir in schlichten Worten mit, die Protokolle hätten sich angefunden und das Gericht hätte kurzfristig einen neuen Verhandlungstermin anberaumt. Alles sei auf dem besten Wege. Ob ich diese Wendung einem meiner verzweifelten Anläufe verdankte oder welche Kräfte sonst dabei im Hintergrund wirkten - ich selbst tippe auf den Fernsehbericht -, werde ich vermutlich nie erfahren.
Am 16. Oktober 2018 fand vor dem Amtsgericht Stettin die Verhandlung in meiner Zahnarztsache statt. Neben meinem deutschsprachigen Anwalt stand mir auch eine vom Gericht gestellte Dolmetscherin zur Seite, so dass ich der Verhandlung, wenn auch nicht vollständig, so doch in groben Zügen folgen konnte. Die Richterin, eine jüngere Frau mit sehr strenger und sachlicher Ausstrahlung, erkundigte sich gleich zu Anfang, ob Vergleichsverhandlungen geführt worden wären. Gewiss, erklärten die Vertreter beider Seiten, doch ein Vergleich sei leider nicht zustande gekommen. Die Richterin ordnete an, wir mögen alle vor die Tür gehen und es noch einmal versuchen.
Das taten wir, doch wie schon mehrmals zuvor konnten wir uns auf keinen Vergleich einigen. Der beklagte Zahnarzt – seine Kollegin war persönlich nicht erschienen – nannte mir den Betrag, den er zu zahlen bereit war, einen lächerlich geringen Betrag, den ich voller Empörung zurückwies; und was ich meinerseits verlangte, erschien wieder ihm empörend hoch. Also zeigten wir uns gegenseitig einen Vogel und kehrten in den Gerichtssaal zurück, um der Richterin achselzuckend mitzuteilen, die Vergleichsverhandlungen seien gescheitert. Ich war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon längst nicht mehr auf Vergleiche aus – die hätte ich allenfalls vor Jahren geschlossen, um mir Zeit und Ärger zu ersparen. Nachdem ich nun jedoch schon überreichlich Zeit und Ärger investiert hatte, war ich nicht mehr gesonnen, mich mit einem kleineren Betrag zu bescheiden als dem in der Klageschrift geforderten.
Doch im Gerichtssaal kam dann alles ganz anders. Die Richterin reagierte höchst ungehalten auf das Scheitern der Vergleichsverhandlungen: Ob es wirklich in unserem Interesse sei, fragte sie streng, dass dieser Fall noch über Jahre das Gericht beschäftige? Allein die zahnärztliche Begutachtung, die man als nächstes veranlassen müsse, werde Monate in Anspruch nehmen. Nicht nur das Gericht sei überlastet, auch Gutachter seien schwer zu bekommen – man habe sie in anderen Fällen bereits aus fremden Wojewodschaften anfordern müssen. Ob sich wirklich keine bessere Lösung finden lasse?
Mit einem Wort, die Richterin bekundete das dringende Bestreben, diesen leidigen Fall endlich vom Tisch zu bekommen, und sie wäre beiden Seiten gegenüber äußerst unangenehm geworden, wenn wir auf unseren Positionen bestanden hätten. Ich konnte sie sogar verstehen – gerade eben hatte ich die Zustände im Gerichtsgebäude erlebt, die wartenden Menschen auf den Gängen, die entnervten Mitarbeiter, die hektisch-ruppige Atmosphäre, die keinen Raum für die geruhsame Erwägung von Rechtsproblemen ließ. Das Gericht war wirklich überlastet, keine Frage. Ich hatte mir geschworen, keinesfalls unter zweitausend Euro zu gehen; doch jetzt hörte ich mich murmeln: „Tausendfünfhundert.“ Mein Anwalt rief die Zahl auf polnisch in den Raum wie ein Auktionsgebot, die Gegnervertreter sagten ja, und bevor ich recht begriff, wie mir geschah, begann die Richterin auch schon mit dem Diktat des Vergleichsprotokolls. Nach nicht mal einer halben Stunde war mein Zahnarztfall, der sich so lange fruchtlos hingeschleppt hatte, Geschichte.