Die Jahre in Dresden
Doch kaum hat er dort Tritt gefasst, als er im Winter 1920 zu einem Gastkonzert nach Dresden geladen wird. Und dieses Konzert wird für ihn schicksalhaft. Die traditionsreiche sächsische Staatskapelle Dresden, eines der besten Orchester Deutschlands, sucht um diese Zeit einen neuen Leiter; und die Chemie zwischen Fritz Busch und den Dresdner Musikern stimmt gleich so vollkommen, dass man dem jungen Dirigenten schon nach kürzester Zeit die Stellung des Generalmusikdirektors an der Dresdner Semperoper anbietet. Fritz Busch zögert, denn er fühlt sich in Stuttgart eigentlich recht wohl. Doch dem „herrlichen Klang“ der Dresdner Staatskapelle kann er nicht lange widerstehen. 1922 tritt er seinen Posten als Generalmusikdirektor an.
Die folgenden elf Jahre werden nicht nur zur produktivsten Schaffensperiode im Leben des Dirigenten Fritz Busch, sondern auch zu einer Glanzzeit in der Geschichte des Dresdner Musiklebens. Unter der Leitung von Fritz Busch führt man in Dresden Werke auf, die in ganz Deutschland einen Widerhall finden. Schon in Stuttgart hatte Busch Mussorgskis bis dato kaum gespielte Oper „Boris Godunow“ entdeckt, die er in Dresden so eindrucksvoll zur Aufführung bringt, dass sie seither aus den Spielplänen der deutschen Opernhäuser nicht mehr wegzudenken ist. Busch wagt sich aber auch an moderne, als schwierig geltende Musik: Mehrere Opern von Richard Strauss werden in Dresden uraufgeführt, dazu Werke von Hindemith, Pfitzner und Busoni. Vor allem aber läutet Busch eine große Verdi-Renaissance in Deutschland ein. Man kann es heute kaum glauben, doch die Werke dieses großen Italieners wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der deutschen Opernszene auf das Hochnäsigste unterschätzt. Busch selbst, der Jünger Regers und Strauss’, hatte die Nase gerümpft, als er zum ersten Mal die gefühlsselige „Traviata“ hörte. In den Dresdner Jahren aber lernt er Verdi schätzen, und er sorgt mit Verve dafür, dass alle Welt an dieser Wertschätzung teilhat. „Die Macht des Schicksals“, bis dato nicht mal in Italien sonderlich bekannt, wird in Dresden stürmisch gefeiert, und der „Maskenball“ findet hier erstmals die Beachtung, die er verdient.
Fritz Busch ist in diesen Jahren ein Mann, der auf vielen Hochzeiten tanzt. Er dirigiert Konzerte in aller Welt. Er organisiert Gesangswettbewerbe. Er entdeckt ganz nebenbei ein zwölfjähriges Wunderkind namens Yehudi Menuhin und verhilft ihm zu seinem ersten großen Auftritt. Er wird nach Bayreuth engagiert – damals der Ritterschlag für einen jeden Dirigenten –, wo er die „Meistersinger“ aufführt. Doch auch dort findet er sein Ideal der Oper als Gesamtkunstwerk nicht verwirklicht: die kongeniale Einheit von Musik und Aufführung, von Gesang und Menschendarstellung, die ihm für seine Arbeit als Leiter eines großen Opernhauses vorschwebt. Immer wieder klagt er in seinen Memoiren über Sparzwänge und Mittelmaß, über den „gewaltigen Abstand zwischen Erstrebtem und Erreichtem“.
Dann lernt er den Berliner Operndirektor und Regisseur Carl Ebert kennen. Die beiden haben sich gesucht und gefunden. An der Deutschen Oper Berlin bringen sie 1932 zusammen Verdis „Maskenball“ auf die Bühne – eine hochproduktive Gemeinschaftsarbeit, die Fritz Busch zu den „schönsten Erlebnissen“ seiner ganzen Laufbahn rechnet. Auf einmal stimmt alles: Die Inszenierung wächst aus der Musik heraus, die Darstellung aus dem Gesang. Das Ergebnis muss schier überwältigend gewesen sein. Die Zuschauer weinen, fiebern, klatschen wie rasend… Schade, dass ein Bühnenkunstwerk mit seiner Ära versinken muss und dass ihm die Nachwelt so wenig wie dem Mimen Kränze flicht. Jener „Maskenball“ wäre eine Zeitreise wert.