Auf den ersten Blick scheint Ottfried Graf Finckenstein ein klarer Fall: ostpreußischer Blut-und-Boden-Autor, Apologet der Naziideologie, einer jener üblen Hofberichterstatter, die ihren Geist und ihre Feder beflissen in den Dienst der braunen Machthaber stellten.
Allein schon das bibliografische Verzeichnis, das Finckensteins Tochter Maria in mühevoller Recherche zusammengetragen hat, stellt dem Mann ein wenig einladendes Zeugnis aus.
Akribisch vermerkt es Ansprachen über „Die Aufgabe des Dichters im Osten“, Betrachtungen über „Unsere innere Wandlung“ und Buchrezensionen mit markigen Titeln wie „Ein Roman von Volk, Boden und Adel“ oder „Muttertum als Lebenskraft“.
Ottfried Graf Finckenstein (1901 - 1987)
Andererseits ist Ottfried Graf Finckenstein seiner Familie und seinen Freunden als ein bewundernswert feinsinniger und gütiger Mensch in Erinnerung. Mit Wärme gedenkt man des sensiblen Ästheten, des liebevollen Vaters, des geistvollen Plauderers. Wie passt das zusammen? Wie konnte solch ein Mann, ein Aristokrat im besten und stolzesten Sinn dieses Worts, der primitiven nationalsozialistischen Ideologie verfallen? In diesem Aufsatz wird versucht, darauf Antwort zu geben.
Ottfried Graf Finckenstein, Jahrgang 1901, entstammt einem uralten westpreußischen Adelsgeschlecht und wächst auf dem Landsitz derer von Finckenstein in Schönberg bei Marienwerder (heute Kwidzyn/Polen) auf. Die erhaltenen Fotos zeigen ein Ambiente, wie man es aus gefühlvollen Romanen kennt: uralte Burgmauern, verträumte Seen, edel gewandete Herrschaften, die mit ihren Kindern und Hunden posieren… Eine schon damals anachronistische, dem Untergang geweihte Welt. Der junge Ottfried strebt zunächst aus dieser vornehm-morbiden Sphäre fort: Er geht nach Berlin, studiert Betriebswirtschaft, findet eine vielversprechende Anstellung bei einer Bank. Und er hat reichlich Teil an den Vergnügungen, die Berlin einem jungen Mann in den 1920er Jahren bietet: Glücksspiel, Liebschaften, Zechgelage… Natürlich geht das nicht lange gut. Ein beruflicher Fehlschlag bringt die Krise: Infolge des „Schwarzen Freitags“ von New York im Jahre 1929 verliert Finckenstein sein Privatvermögen und die Anstellung bei der Bank. Seine Karriere ist beendet, seine Existenz vernichtet. Der sensible junge Mann erleidet einen Nervenzusammenbruch, muss sich in ärztliche Behandlung begeben. In einem Schweizer Sanatorium findet er Heilung und dazu noch einen entscheidenden Fingerzeig für seine Zukunft: Ein Analytiker, der ihm aufgetragen hat, seine Träume niederzuschreiben, erklärt nach deren Lektüre begeistert, der Patient hätte wohl den Beruf verfehlt – so leicht und schön, wie er die Feder führe, müsse er unbedingt Schriftsteller werden.