Fortan schreibt er nur noch gelegentlich kleine Erzählungen oder Zeitungsartikel. Das Geld zum Leben verdient er als Texter in einer Werbeagentur. Er hat durchaus Erfolg dabei, doch was ist dieser Erfolg gegen den seiner Frau? Um die Mitte der 1950er Jahren hat sie sich endgültig in der Politik etabliert. Vom Bund der Heimatvertriebenen, der zusehends an Bedeutung verliert, wechselt sie zur CDU. Und als ihr Bundestagsmandat ausläuft, ist es ihr ein Leichtes, sich attraktive Auslandsstellungen zu verschaffen. 1959 gehen die Finckensteins nach Chile, wo Eva als Vertreterin des Generalkonsuls eingesetzt wird. Ein paar Jahre später versetzt man sie nach Kanada. Dort arbeitet sie als Kulturreferentin an der Deutschen Botschaft in Ottawa, gründet das erste kanadische Goethe-Institut – die klassische Karrierefrau der Nachkriegszeit.
Ihr Mann versucht, gegen die Rolle des Prinzgemahles anzurudern. In Valparaiso leitet er die deutsche Bibliothek. In Ottawa kann er sogar einen Lehrstuhl an der Universität bekommen: Ein paar Jahre lehrt er kanadische Studenten die deutsche Sprache und Literatur, bis seine angeschlagene Gesundheit ihn zwingt, auch diese Stellung aufzugeben. Immer fühlt er sich im Schatten seiner dominanten Frau. Und das tut der Ehe natürlich nicht gut. In den ersten Jahren ihrer Gemeinschaft hatte Eva zu Ottfried aufgeblickt wie zu einem Höheren Wesen: Er war der feingeistige Aristokrat, der erfolgsverwöhnte Schriftsteller, der stets beschäftigte, im Leben stehende Mann, der mit starker Hand das Schicksal der Seinen lenkte. Jetzt ist er ein Gutsherr ohne Land, eine gescheiterte Existenz, als Familienversorger unbrauchbar und als Autor schon zu Lebzeiten vergessen. Eva, die im Lebenskampf hart und unbeugsam geworden ist, hat für diesen Mann bald nur noch Verachtung übrig. Sie verbeißt sich in die Arbeit, ist kaum noch zu Hause. Er tröstet sich mit ausgedehnten Bridgepartien und ab und zu mit einer kleinen Schwärmerei. Eine Scheidung wird nicht in Erwägung gezogen.
Der Lebensabend des ungleichen Paares zieht sich noch über Jahrzehnte hin: Ottfried wird 86 Jahre alt, seine Frau Eva gar über neunzig. Bis zuletzt bleiben die beiden in Kanada wohnen, wo sich auch vier von ihren fünf Kindern angesiedelt haben. Geduldig ertragen sie Tag für Tag ihre selbst erschaffene Ehehölle und halten bis zuletzt an einem Lebensstil fest, über den die moderne Zeit schon längst hinweggeschritten ist. „Tagebuch eines Feiglings“ überschreibt Finckenstein seine internen, nie veröffentlichten Memoiren; und er rechnet darin schonungslos mit den eigenen Schwächen und Inkonsequenzen ab. Diese Schwächen hatten ihn dazu gebracht, einem System die Hand zu reichen, das seinen Glauben, seine Begabung und seinen guten Willen missbrauchte. Hier lag der Kardinalfehler, der den ersten Teil seines Lebens prägte, und im zweiten Teil hat er dafür bitter gebüßt. Seine Tochter Maria nennt ihn ein „Opfer des Nationalsozialismus“, doch damit geht sie wohl ein bisschen weit. Allzu aktiv und allzu bewusst hat ihr Vater sein Schicksal gewählt, um als schuldloses Opfer gelten zu können. Doch zweifellos zählt er zu den tragischen Gestalten, die das ideologiegeladene 20. Jahrhundert in solch furchtbar großer Zahl hervorgebracht hat.