Abschied mit Bedauern
Am Ende des Probemonats Juli beschließe ich, als Fahrerin aufzuhören. Ich treffe die Entscheidung nicht ohne Bedauern, denn der Job hat schon was in seiner einmaligen Mischung aus Sozialarbeit und Sport. Ich mag die proletarische Trucker-Atmosphäre morgens auf dem Neuköllner Hof, die einsamen Fahrten durch den Dschungel Berlins, die kleinen Dialoge mit den Kunden. Naja, und das Geld hätte ich natürlich auch sehr gut gebrauchen können. Aber das Risiko ist weitaus größer als die gebotenen Verdienstmöglichkeiten und erhöht sich noch durch den Status der absoluten Rechtlosigkeit, in dem man sich als Lieferant bewegt. Man versichert mir, das sei für diese Branche typisch, sei anderswo sogar noch krasser. Aber dann ist diese Branche wohl nichts für mich. Nein, ich mag nicht zu denen gehören, deren prekäre Lebenslage profitabel ausgenutzt wird. Gerade weil ich gesehen habe, mit wieviel Engagement und gutem Willen die meisten hier bei der Sache sind, empört mich der Mangel an Seriosität, der Mangel an Respekt, mit dem man uns behandelt.
Toby nimmt meine Entscheidung gelassen, obwohl sie ihn aktuell hart trifft: Noch immer ist es ihm nicht gelungen, einen neuen Fahrer für meine Tour zu finden. Er muss zusammen mit seinem Sohn sämtliche Einsätze selbst bestreiten. Mitunter hege ich die heimliche Hoffnung, mein Abgang, dessen Gründe er kennt, könnte für ihn ein kleines Signal sein, zumindest eins von mehreren Signalen, dass das System doch nicht unbegrenzt funktioniert und dass ein Umdenken geboten ist, vielleicht auch auf Seiten von Apetito. Aber da wünsche ich mir wohl zu viel. „Das ist nur eine kleine Sommerflaute“, sagt Toby beim Abschied siegesgewiss. „Im Herbst rennen sie mir wieder die Bude ein.“ Ich befürchte, der Mann hat Recht. Solange es in diesem Land Menschen gibt, die vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, werden ihm die Lieferanten nicht ausgehen.