Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern...
Georg Trakl, VerfallMehr als zwei Stunden führt uns Sabrina kreuz und quer über das Gelände. Sie zeigt uns die Reste der Wildwasserbahn, den kleinen Bahnhof für die parkeigene Eisenbahn, das abgewrackte Westerndorf. Das Riesenrad jammert immer lauter, und die Fotoapparate klicken. Die Motive, die sich uns bieten, sind aber auch der Abbildung wert: verlassene Gondeln, die sich leise im Winde wiegen, moosbewachsene Plattformen und Treppen, bröckelnde Fassaden, zerbrochene Fenster. Zudem ist Herbst, und wir könnten uns für das, was wir sehen, keinen passenderen Hintergrund wünschen als die abgeblühten Sträucher im Park, die laubbedeckten, matschigen Wege, die melancholische Abschiedsstimmung, die über der Szene liegt. Einst herrschte hier gesellschaftlicher Hochbetrieb, Verkäufer boten ihre Waren feil, junge Mädchen steckten kichernd die Köpfe zusammen, und Mütter riefen nach ihren Kindern. Jetzt sind all diese Rufe verstummt, keine Menschenseele verirrt sich hierher. Es ist wie in dem Gedicht „Verfall“ von Georg Trakl, nur dass hier in den entlaubten Zweigen keine Amsel klagt, sondern ein Riesenrad.
Sabrina Witte macht ihre Sache gut. Sehr lebendig erzählt sie von ihrer Kindheit, in der ihr der Spreepark einen einzigen großen Abenteuerspielplatz bot, von ihrem Großvater, der bei einem spektakulären Jahrmarktsunfall ums Leben kam, von den verschiedenen Konzepten zur Rettung des Spreeparks, von dem großen Kokaindeal ihres Vaters… Als wir direkt vor dem Riesenrad stehen, muss sie schon ziemlich die Stimme heben, denn das Quietschen ist nun fast schon ein Kreischen. Wir laufen über die morschen Holzwege und Brücken, bis wir direkt vor dem Einstieg stehen, einige Mutige wagen sich sogar bis in die Gondeln vor. Zuletzt zeigt uns Sabrina noch die beiden ehemaligen Restaurants. Auch hier herrscht ungehemmter Verfall. Die Fenster sind blind, die Räume leer. Wird hier je wieder neues Leben erblühen?
Beim Abschied äußert sich Sabrina Witte verhalten optimistisch zu dieser Frage. Sie sagt, sie hätte im Spreepark ihre Kindheit verlebt, und sie würde sich wünschen, dass später einmal auch ihre eigenen Kinder hier spielen. In den nächsten Wochen und Monaten stehen wichtige Entscheidungen zur Zukunft des Geländes an. Vielleicht war unsere Führung schon eine der letzten, die den verfallenden Spreepark zeigten.