Familiensaga
"Eine heimtückische Krankheit hat meiner Mutter das Finale ihres Lebens verdorben: Sie erkrankte an Demenz und starb in geistiger Umnachtung. Dieses Buch soll die Erinnerung festhalten, die ihr schleichend abhanden kam. Es ist die Geschichte unserer Familie über das 20. Jahrhundert hinweg. Die meisten meiner Anverwandten waren aktive Kommunisten, und so spiegeln ihre Schicksale vor allem den Aufstieg und Niedergang der kommunistischen Bewegung. Hier wurde vielen Menschen das Finale verdorben, und auch in dieser Hinsicht war es mir wichtig, die entschwindende Erinnerung festzuhalten." (Klappentext)
Meine Großmutter trat mit sechzehn Jahren der Roten Arbeiterjugend bei, um für die Weltrevolution zu kämpfen.
Mein Großvater führte das Nomadendasein eines kommunistischen Wanderpredigers, der den Arbeitern die Erlösung durch die Marxsche Lehre verkündet.
Mein Großvater Victor Stern (1885-1958) zählte in der frühen DDR-Zeit zu den führenden marxistischen Philosophen. Wie es sich damals gehörte, war er ein glühender Stalinist und glorifizierte sein Idol Josef Stalin in etlichen Artikeln und Broschüren. Erheblich kritischer stand er Albert Einstein gegenüber. Zwar erkannte er dessen Leistungen als Physiker an, doch vom philosophisch-ideologischen Standpunkt aus hielt er die Relativitätstheorie für fragwürdig und fehlerbehaftet, womit er dem Dogma der sowjetischen Philosophen folgte. Eines Tages im Frühjahr 1952 griff Victor Stern kühn zur Feder und schrieb an Albert Einstein in Princeton einen langen Brief. Lesen Sie hier, was er Einstein zu sagen hatte und was Einstein geantwortet hat.
Viktors Einstein-Brief zum Download
Am Anfang stand die Anziehung der Gegensätze: Auf der einen Seite Maria von Finckenstein, der Spross aus einem uralten ostpreußischen Adelsgeschlecht, auf der anderen ich, die Tochter und Enkelin überzeugter Kommunisten. Hier die weitgereiste, mehrsprachige Globetrotterin, da die Ex-DDR-Bürgerin, die erst nach der Wende über ihren Tellerrand blickte. Für jede von uns gab die Bekanntschaft Einblick in eine wildfremde Sphäre. Doch was uns sofort verband, war das Interesse an der eigenen Familiengeschichte; und wenn es auch zunächst so aussah, als könnte es keine krasseren Extreme geben als die Welten, in die wir hineingeboren wurden, so fanden wir doch im Austausch darüber auch überraschende Parallelen.
Weiterlesen: Blaues Blut und rote Socken - zwei Frauen entdecken ihre Geschichte
Alljährlich gibt die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ein Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung heraus; im Jahr 2015 lag der Schwerpunkt auf dem Thema "Frauen im Kommunismus". Einer der Aufsätze befasst sich mit den Schwestern Magda und Charlotte Gehrmann, meiner Großmutter und Großtante, deren Leben ich in meiner Familiengeschichte "Der Apparat und die Seele" geschildert habe.
In der Familiensaga "Der Apparat und die Seele" wird eine Vielzahl von historischen Dokumenten zitiert und besprochen. Hier findet ihr einige in vollem Wortlaut.
Am 14. Juni 1953 erschien, ebenfalls im "Neuen Deutschland", eine Reportage von meiner Mutter Katja Stern mit dem schönen Titel "Es wird Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen". Sie behandelte die baulichen und organisatorischen Missstände in der Stalinallee, dem damaligen Vorzeige-Bauprojekt der SED in Ostberlin. Der Artikel gilt als einer der Auslöser des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953.
Holzhammer-Artikel zum Download
Ebenfalls von Katja Stern "Der Holzhammer wurde nie beiseite gelegt", ein Bericht über ihre Erlebnisse im Vorfeld des 17. Juni 1953
Meine Mutter Katja Stern (1924-2000) wuchs als „Marie Sidonie Käthe Beyer“ in Dresden auf. Ihr Vater war Schlosser, kaum des Schreibens mächtig, ihre Mutter ein ehemaliges Dienstmädchen mit höheren Ambitionen – ein ungleiches Paar, das sich häufig zankte und an chronischer Geldnot litt. Trotzdem gelang der aufgeweckten Tochter der Abschluss des Lyzeums und der Handelsschule wie auch die frühe Loslösung aus dem muffig-beengten Elternhaus. Die Schrecken des Kriegsendes – Käthe erlebte hautnah die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 – und die Gräueltaten des Hitlerregimes, die in der Folge aufgedeckt wurden, politisierten das junge Mädchen: Käthe wurde Kommunistin.
Der Artikel (hier in leicht gekürzter Fassung) muss im Frühjahr 1993 entstanden sein, als der 40. Jahrestag des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 bevorstand. Damals kamen mehrere Journalisten auf meine Mutter zu, um sie nach ihren Erinnerungen zu fragen. Es existiert aus demselben Jahr auch ein ZDF-Dokumentarfilm ("Juniaufstand - Der 17. Juni 1953 von Carl-Ludwig Paeschke), in dem sie ausführlich dazu interviewt wird. Der Artikel wurde 1999 in dem Sammelband "Spurensicherung - Zeitzeugen zum 17. Juni 1953" (GNN-Verlag) abgedruckt.
Am frühen Nachmittag des 16. Juni 1953, einem Montag, standen plötzlich zwei Bauarbeiter von der Stalinallee vor meinem Schreibtisch. Ich arbeitete damals in einer Außenstelle des "Neuen Deutschland", die sich die Redaktion eigens in unmittelbarer Nähe der riesigen Baustelle zugelegt hatte, um hautnah beim Aufbau der "Prachtstraße" dabeisein zu können. Die Verbindung zu den Bauarbeitern sollte so eng wie möglich sein, und das war sie auch.
Weiterlesen: Katja Stern: Der Holzhammer wurde nie beiseitegelegt
Mein Vater Heinz Stern (1921-95) entstammte einer kommunistischen, väterlicherseits zudem noch jüdischen Familie und verlebte in der Zeit des Nationalsozialismus eine entsprechend turbulente, von mehrfachen Fluchten geprägte Kindheit in Berlin, Brünn und Moskau. Nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück und studierte Journalistik in Leipzig, wo er aufgrund seiner Vergangenheit und seiner glänzenden Begabung ein Star unter den Studenten war. Doch so verheißungsvoll seine Laufbahn begann, sein beruflicher Weg verlief dann weniger glatt.
Dieser Text, die Abrechnung eines "Insiders" mit der Praxis des Kommunismus, ist ein Auszug aus einem Artikel, der im PDS-Journal "Disput", Ausgabe 2/95 erschien. Es ist eine der letzten journalistischen Arbeiten von Heinz Stern.
Der Mythos von Gorbis Verrat hat die typische Sündenbock-Funktion. Er lenkt ab von unserer eigenen Schuld am Untergang der DDR, verdrängt und negiert sie.
Wir, die kommunistischen Funktionäre, die vor einem halben Jahrhundert angetreten waren, eine neue, bessere Welt zu schaffen, haben viel zu lange und viel zu widerspruchslos im Dienst eines Systems funktioniert, das längst degeneriert war und unsere Ideale verraten hatte. Viel zu wenige (Havemann, Harich, Janka, Bahro) haben, von uns nicht unterstützt, die Reformen angedacht und angemahnt, die aus dem nichtkapitalistischen System, das nach der Niederwerfung des Nationalsozialismus im Osten Deutschlands entstanden war, - vielleicht - ein sozialistisches hätten machen können.