Opernmorde
"Zwei Männer, die um die Liebe einer schönen Frau rivalisieren – und in der Folge schäumende Leidenschaften, Ränke, Entführung, Verrat und Mord. Das ist die Welt der Großen Oper, der Stoff, aus dem Giuseppe Verdi seine musikalischen Einfälle schöpfte. Aber auch ohne Musik können Sie sich in diese aufregende Welt versenken. Tanja Stern hat in ihren "Opernmorden" die exaltierten Handlungen dreier Verdi-Opern eigenwillig interpretiert und dafür eine Form gefunden, die sich an die klassischen Novellen des 18. Jahrhunderts anlehnt." (Klappentext)
Die Idee für diese Arbeit verdanke ich Hans Neuenfels, dessen verrückte, furiose, blasphemische „Troubadour“-Inszenierung Mitte der 1990er Jahre an der Deutschen Oper Berlin für Aufregung sorgte. Im Chaos der Buh- und Bravo-Rufe dachte ich zum ersten Mal genauer über die Handlung des "Troubadour" nach und bekam plötzlich Lust auf eine kleine parodistische Etüde – eine Art erweiterte Inhaltsangabe, im Stil von Kleist und Schiller gehalten. Munter machte ich mich ans Werk, dessen Umfang ich auf etwa zehn Seiten taxierte.
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"Der Graf de Luna ist ein mächtiger Herr, vermögend und an leichte Erfolge gewöhnt. Um so empfindlicher ist sein Stolz getroffen, als ihm die schöne Doña Leonor entschieden ihre Hand verweigert. Ein geheimnisvoller Fremder steht dem Glück des Grafen im Wege – ein Troubadour von dunkler Herkunft, an den Doña Leonor bei einem Sängerwettstreit ihr Herz verlor...“ (Klappentext)
Das Troubadour-Libretto, basierend auf einem einst viel gespielten Drama des Spaniers Antonio Garcia Gutierrez, gilt als das schlechteste, das Verdi je vertont hat. Gern zitiert wird der Ausspruch von Temistocle Solera, der Librettist Cammarano gehöre für dies Machwerk lebenslänglich auf die Galeeren.
Allerdings ist der Plot primitiv und wirr, von Unlogik nur so strotzend und der aberwitzigsten Zufälle voll; doch zugleich trägt er in seltener Klarheit und Vollständigkeit alle Elemente in sich, die für Verdis Opernkosmos bezeichnend sind: die blutige Rivalität zweier Männer, des Tenors und des Baritons, um die Sopranistin; dazu im Hintergrund die Altistin, seelisch umschattet und problematisch; und natürlich all die zeitgemäßen Beigaben, Duelle, Entführungen, Opfertod...
"Stockholm 1792. Auf einem Maskenball wollen antiroyalistische Verschwörer dem Leben des Schwedenkönigs Gustaf III. ein gewaltsames Ende bereiten. Von diesem Ball jedoch erhofft sich Gustaf unter dem Schutz der Verkleidungen und Masken ein Treffen mit der heimlich geliebten Amelia, der Gattin seines treuesten Freundes. Für dieses Treffen schlägt der König alle Warnungen in den Wind…“ (Klappentext)
Die Geschichte stammt ursprünglich aus der Feder Eugene Scribes, eines der populären Vielschreiber des 19. Jahrhunderts. Sie basiert auf der Ermordung des schwedischen Königs Gustaf III. während eines Maskenballs im Jahre 1792, die damals europaweit Aufsehen erregte.
Freilich kümmerte sich Scribe um die historischen Fakten wenig. In seiner Version wird Gustaf keine politische Konspiration zum Verhängnis, sondern eine verbotene Liebschaft – historisch gesehen barer Unsinn, denn Gustaf hatte keinerlei Affären, weder mit Frauen noch mit Männern.
"Verbirg, was du liebst, sonst wird es dir genommen – diese Lehre hat Rigoletto, der verkrüppelte Hofnarr des Herzogs von Mantua, schon in jungen Jahren verinnerlicht. Argwöhnisch hält er seine Tochter Gilda von dem lasterhaften Hofstaat fern, ohne zu bedenken, dass er dadurch erst recht des Herzogs Neugier auf sie lenkt…“ (Klappentext)
Die Gestalt des Hofnarren, wie sie durch das frühe Mittelalter geprägt worden ist, zählt zu den sonderbarsten Phänomenen der Geschichte. Possenreißer und Künder der Wahrheit, Geisteskranker und heimlicher Weiser, Zerrspiegel und aufmüpfiger Widerpart des Herrschers – wer sich mit der komplizierten, immer neuen Abwandlungen unterworfenen Dialektik des Narrentums befasst, wird einen selten tiefen Blick in die Seele des Mittelalters tun.
Die „Rigoletto“-Geschichte freilich entstand viel später, im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter verklärender Romantik und Sentimentalität. Victor Hugo, stets fasziniert von pittoresken Figuren und krassen Abgründen, wählte für sein Drama „Le roi s'amuse“ den bekannten Hofnarren Triboulet, der am Hofe Franz I. lebte, zum Helden bzw. zum Objekt aufgeklärt-bürgerlichen Mitgefühls. Die Geschichte vom verkrüppelten Hofnarren und seiner vom König verführten Tochter ist so überkonstruiert und verstiegen, dass sie unterhalb jeder Kritik rangiert – und doch zugleich so böse und so herzzerreißend, dass man es Verdi danken muss, sie mit seiner Musik geadelt und vor dem Vergessen bewahrt zu haben.