Kunstreflexionen
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Er war der Prototyp des arrivierten, von Speichelleckern umschleimten Erfolgsautors. Doch nicht nur die Mitwelt, auch die Nachwelt erhob Johann Wolfgang von Goethe zum größten Dichter, der je gelebt hat. Warum gerade ihn? An seinem Werk allein kann es nicht liegen. Eher an dessen Repräsentanz.
Ist doch sonnenklar, warum ich Goethe hasse: Er ist der Prototyp des arrivierten, verwöhnten, vollgefressenen Erfolgsliteraten. Finanziert von der politischen Macht, umschleimt und göttergleich verehrt vom kulturbeflissenen Spießertum und egomanisch alles eigenständige Leben und Blühen um sich erstickend. Als Autor weit überschätzt und als Mensch – sagen wir es offen – doch ein ziemliches Schwein.
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Im heißen Herbst 1989 brachte Christoph Schroth in Schwerin Schillers "Wilhelm Tell" auf die Bühne - und plötzlich war es kein öder Klassiker mehr, sondern ein brisantes DDR-Gegenwartsstück.
Ich bin zwar Schiller-Verehrerin, doch den „Wilhelm Tell“ hatte ich immer für das schlechteste aller Schiller-Dramen gehalten. Nein, nicht wirklich für schlecht, aber – es war so bieder. Wackere Helden, treusorgende Frauen, ein naives Weltbild von Guten und Bösen, und dann noch diese ständigen Kalendersprüche, die von den Figuren abgesondert werden! Statt menschlicher Abgründe gab es nur die Schluchten der idyllischen Schweizer Berge. Keine Grübler, keine Zweifler, keine Verräter. Warum hatte Schiller nicht lieber den „Demetrius“ vorgezogen, ein Stück, in dem ganz anders die Fetzen flogen als in diesem Drama einer behäbigen Spießerrevolution?
So dachte ich bis zum 10. Oktober 1989. An diesem Abend stand in der Ostberliner Volksbühne ein Gastspiel auf dem Programm: Das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin gab Schillers „Wilhelm Tell“ in der Regie von Christoph Schroth.
Weiterlesen: Die Revolution der Biedermänner - "Wilhelm Tell" im heißen Herbst 89
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Viele Prosa-Autoren wären glücklich, wenn es nur eine einzige gelungene Verfilmung ihrer Werke gäbe. Zu Friedrich Dürrenmatts Meisterkrimi „Das Versprechen“ von 1958 gibt es – neben etlichen schlechten – sogar gleich zwei gute Filmversionen. Sie sind so unterschiedlich, wie Filme nur sein können, und sie sind beide nicht als Verfilmungen im klassischen Sinne zu betrachten.
Der erste ist „Es geschah am helllichten Tag“ in der Regie von Ladislao Vajda. Er entstand 1958, im selben Jahr wie „Das Versprechen“, doch er ist nicht der Film zum Buch, sondern umgekehrt: „Das Versprechen“ ist das Buch zum Film, und mehr als das Buch – der Kommentar zum Film, die Variation zum Film, im Endeffekt fast die Negation des Films. Friedrich Dürrenmatt hatte 1957 gemeinsam mit Ladislao Vajda und Hans Jacoby das Drehbuch für einen Kriminalfilm verfasst; vorgegeben war, es solle um Sexualdelikte an Kindern gehen. Nach zahlreichen Querelen und Verzögerungen kam das Filmprojekt tatsächlich zustande, doch es befriedigte den Autor nicht: zu glatt, zu nett, zu positiv.
Weiterlesen: Krimi mit zwei Schlüssen: "Das Versprechen" von Friedrich Dürrenmatt
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Der englische Spielfilm "Black Narcissus" aus dem Jahre 1947 erzählt eine abwegige Geschichte: von einer Gruppe Nonnen, die am Himalaya eine Mission errichten - bis eine von ihnen sich verliebt und darüber dem Wahnsinn verfällt...
Eines der Highlights auf der Berlinale 2015 war die Technicolor-Retrospektive, die ein Wiedersehen mit vielen schönen alten Farbfilmen verhieß. Ich wählte „Black Narcissus“, einen englischen Film von 1947, den ich Jahrzehnte lang nicht mehr gesehen hatte. Die vielgerühmten Technicolor-Effekte auf der großen Kinoleinwand ließen mich kalt; ich begreife gar nicht, dass man sich einen Film um solcher Effekte willen ansehen kann. Mir hätte es vollauf genügt, das Werk, an das ich aus meiner Jugend eine lebhafte Erinnerung bewahrte, am heimischen Fernsehgerät zu sehen. Leider werden solche edlen alten Perlen von Fernsehprogrammgestaltern kaum mehr entdeckt. Die Klassikpflege des deutschen Fernsehens ist auf ein sehr dürftiges und einfallsloses Repertoire beschränkt.
Weiterlesen: Nonnen am Himalaya - ein Wiedersehen mit "Black Narcissus"
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Wer umzieht, muss aussortieren: Was landet auf dem Müll, was wird behalten? Doch wenn es Bücher sind, die man aussortieren und über deren Zukunft man entscheiden soll, wird die Sache schwierig.
Kürzlich bin ich umgezogen. Meine neue Wohnung ist viel kleiner als die alte, so dass vor dem Umzug Ausmisten angesagt war. Möbelstücke wurden verkauft oder verschenkt, und all die jahrelang gehorteten Haushaltsgegenstände, die „für alle Fälle“ im Schrank oder in der Abstellkammer vor sich hin gedämmert hatten, wurden gnadenlos auf den Müll geworfen. Vor allem aber wollte ich meine Bibliothek drastisch reduzieren. Mindestens 50 % meines Bücherbestandes, das hatte ich mir fest vorgenommen, sollten nicht mit in die neue Wohnung ziehen.
Weiterlesen: Bücher in Bananenkisten - Gedanken zu einer leicht verderblichen Ware
Der französische Spielfilm „Agnus Dei – die Unschuldigen“ handelt von geschwängerten Nonnen; doch den Zuschauer erwartet kein pikantes Klosterdrama, sondern eine Geschichte über Kriegsgräuel und Leiden – und über die Kraft des Lebens, die trotz allem triumphiert.
Wenn man den Trailer anliest, wallen kurz all die pikanten Assoziationen auf, die man aus Film und Literatur mit dem Stichwort „schwangere Nonnen“ verbindet: verführte Schwestern, lüsterne Priester, verbotene Sünden hinter Klostermauern. Doch schon der zweite genauere Blick zerstört die erregende Vorstellung. Hier geht es nicht um gebrochene Keuschheitsgelübde. Hier geht es nur um Gewalt und grenzenloses Leid.
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Die „Edition Profile“ vermarktet eine clevere Geschäftsidee: Persönliche Profile von Kleinstadtbürgern in ledergebundenen Prachtausgaben.
„Edition Profile“ nennt sich der Verlag, und er kommt außerordentlich seriös daher. Regionalgeschichte will er schreiben, und zwar über die Porträts von Menschen, die ihre Regionen prägen. In dicken Büchern werden sie vorgestellt, jeweils zwischen hundertfünfzig und zweihundert Menschen pro Band, ein buntes Sammelsurium von Geschäftsleuten, Landräten, Handwerkern, Künstlern, meist Einzelpersonen, aber auch Familien, die zum Beispiel einen Laden betreiben, oder jungen Unternehmerteams.