Künstlerporträts
Er war der "schönste Junge der Welt": Björn Andresen wurde 1970 von Lucchino Visconti entdeckt, der ihn in seiner opulenten Thomas-Mann-Verfilmung "Tod in Venedig" als verführerischen Tadzio besetzte. Heute ist er ein einsamer alter Mann und sieht sich selbst als missbrauchtes Opfer.
Das Casting findet im Grandhotel Stockholm statt. Dort residiert Luchino Visconti, der berühmte Meisterregisseur aus Italien, und dorthin bestellt er die Jungen, die sich auf seine Annonce gemeldet haben. Er sucht den Darsteller des Tadzio für die gerade von ihm geplante Thomas-Mann-Verfilmung „Tod in Venedig“, aber das ist nur eine äußerlich nüchterne Umschreibung seiner Intention. Was er wirklich sucht, ist nichts Geringeres als die vollkommene, die ideale Schönheit, ja die Allegorie der Schönheit schlechthin in der Gestalt eines zwölf- bis vierzehnjährigen Knaben.
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Deanna Durbin war in den 1940er Jahren eine der beliebtesten und höchstbezahlten Schauspielerinnen in Hollywood. Doch schon mit 27 Jahren zog sie sich ins Privatleben zurück.
Sie war das Mädchen mit der hübschen Sopranstimme, das Mädchen mit dem reinen Blick, das Mädchen mit der frischen, notorisch unschuldigen Ausstrahlung. Ja, nur als Mädchen erscheint sie auf der Leinwand; es gibt keine Altersrollen von ihr. Schon 1948, mit gerade 27 Jahren, zog sie sich aus dem Filmgeschäft zurück und war zu keinem Comeback zu bewegen.
Vielleicht ist das der Grund, weshalb die schnelllebige Zeit noch brutaler über sie hinwegschritt als über andere Hollywood-Diven der Vergangenheit. Die Garbo oder die Monroe sind bis heute in aller Munde, doch sie hatten auch Jahrzehnte lang Zeit, ihre Legenden zu entfalten. Wer aber weiß noch, welchen Hype einst die junge Deanna Durbin ausgelöst hat?
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In den 1950-er Jahren wagte es der Autor Boris Djacenko, die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten zu thematisieren. Die Literaturszene gab ihm einen Tritt, und sein Freund Erwin Strittmatter ließ ihn fallen.
Boris Djacenko habe ich nie gelesen, weder die Romane und Erzählungen der Frühzeit noch die Krimis, die er später unter dem Pseudonym „Peter Addams“ schrieb, nachdem seine Karriere als „seriöser Autor“ in der DDR gescheitert war. Die Öffentlichkeit kennt ihn heute nicht mehr, und die Literaturwissenschaftler, die sich von Amts wegen mit ihm befassen, bezeichnen ihn als mittelmäßigen Autoren. Ich muss mich auf dieses Urteil verlassen.
Weiterlesen: Der Sieger nimmt alles - Djacenko contra Strittmatter
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Das "Haus an der Uferstraße" wurde Ende der 1920er Jahre für hohe Moskauer Parteifunktionäre gebaut. Auch die Familie des Bürgerkriegshelden Valentin Trifonow wohnte dort. 1938 wurde er verhaftet und hingerichtet. Sein Sohn, der Schriftsteller Juri Trifonow, hat das Schicksal seines Vaters und des Hauses an der Uferstraße beschrieben.
Valentin Trifonow war ein Altbolschewik, ein Haudegen aus den glorreichen Zeiten der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs – zu DDR-Zeiten hätte man gesagt: ein Held. Er hatte an beiden russischen Revolutionen, 1905 und 1917, aktiv teilgenommen, war ein namhafter Offizier in der Roten Armee und im Revolutionären Kriegsrat gewesen und hatte die Partei der Bolschewiki, der er seit frühester Jugend angehörte, auf verschiedenen führenden Posten als Politiker vertreten. Natürlich wurde er dafür vom sowjetischen Staat mit Ehren und Auszeichnungen überhäuft. Zu seinen Privilegien gehörte auch eine Wohnung im „Haus an der Moskwa“.
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Carson McCullers steht im Schatten der großen Südstaaten-Autoren wie Faulkner oder Capote. Aber das hat sie nicht verdient, denn ihre Texte, realistisch und doch sonderbar romantisch entrückt, sind bis heute faszinierend. Der Titel ihres ersten Romans "Das Herz ist ein einsamer Jäger" ist bezeichnend für ihr Leben und Werk.
Sie wuchs auf in einer verschlafenen Kleinstadt des amerikanischen Südens, ganz wie eine jener fragilen, hochsensiblen Mädchenfiguren, die sie später in ihren Romanen beschrieb. Über ihrer Kindheit lag die Trägheit des Südens, die Armut, die Hitze, die Einsamkeit; doch jenseits all dessen erschuf sie sich eine innere Welt der Poesie und Musik.
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Der Dirigent Fritz Busch war weder Jude noch Kommunist - nur ein verantwortungsbewusster Deutscher, der die Nazis primitiv und gefährlich fand. Dafür verjagten sie ihn von seinem Posten als Generalmusikdirektor der Staatskapelle Dresden.
Große Dirigenten des 20. Jahrhunderts – welche Namen fallen uns da ein? Karajan natürlich, Karl Böhm, gewiss, vielleicht noch Furtwängler, Klemperer, Bruno Walter… Aber Fritz Busch? Der ist, zumindest in Deutschland, heute so gut wie vergessen. Dabei stand er einst zusammen mit all denen, deren Nachruhm bis heute fortwirkt, in der ersten Reihe unter den bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten Deutschlands.
Weiterlesen: Der Dirigent und die Macht - Erinnerung an Fritz Busch
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Ottfried Graf Finckenstein war während des Dritten Reiches ein gefeierter Autor, doch das macht ihn nicht automatisch zum primitiven Apologeten der Naziideologie. Interessant ist vielmehr die Frage, wie er in diese Rolle hineingeraten konnte.
Auf den ersten Blick scheint Ottfried Graf Finckenstein ein klarer Fall: ostpreußischer Blut-und-Boden-Autor, Apologet der Naziideologie, einer jener üblen Hofberichterstatter, die ihren Geist und ihre Feder beflissen in den Dienst der braunen Machthaber stellten. Allein schon das bibliografische Verzeichnis, das Finckensteins Tochter Maria in mühevoller Recherche zusammengetragen hat, stellt dem Mann ein wenig einladendes Zeugnis aus. Akribisch vermerkt es Ansprachen über „Die Aufgabe des Dichters im Osten“, Betrachtungen über „Unsere innere Wandlung“ und Buchrezensionen mit markigen Titeln wie „Ein Roman von Volk, Boden und Adel“ oder „Muttertum als Lebenskraft“.
Andererseits ist Ottfried Graf Finckenstein seiner Familie und seinen Freunden als ein bewundernswert feinsinniger und gütiger Mensch in Erinnerung.
Weiterlesen: Sensibler Ästhet und politisch Verführter - Ottfried Graf Finckenstein
Diese Unbestimmtheit der Form ist kein Zufall, sondern hängt unmittelbar mit den Bedingungen zusammen, unter denen das Werk entstand. Der Autor Ulrich Plenzdorf sah sich selbst reinen Filmszenaristen an. Er wollte immer Filmtexte schreiben, sonst nichts, ließ er in einem Interview verlauten; alles, was er in anderen Genres verfasste, sei nur deshalb entstanden, weil es sich als Film nicht realisieren ließ. Ein Mann des Films also, der prekärsten, teuersten und abhängigsten aller Künste, und das auch noch in der DDR, dem ideologisch verklemmtesten Land der Welt.
Weiterlesen: Ulrichs Plenzdorfs junger W. - die Leidensgeschichte eines Filmstoffs
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Edeltraud Eckert verteilte Flugblätter, auf denen freie Wahlen und demokratische Rechte gefordert werden. Dafür wurde sie 1950 zu 25 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis begann sie Gedichte zu schreiben.
Sie war begabt, soviel kann man sagen. Sie war nicht genial, und sie hat in den 25 Jahren, die sie auf der Erde weilte, kein bedeutendes, bleibendes Werk hinterlassen. Hätte sie weitergelebt, so wäre sie vielleicht zu einer großen Lyrikerin gereift. Aber vielleicht hätte sie die Schreiberei auch aufgegeben, einen bürgerlichen Beruf ergriffen, Kinder großgezogen und zwischen Arbeits- und Familienalltag ihre künstlerischen Ambitionen vergessen, wie es so vielen begabten Menschen geschieht. Wir werden es niemals erfahren; doch gerade diese Potenz, diese spürbare, noch unentfaltete Begabung gibt dem frühen Tod der Edeltraut Eckert seine ganz besondere Tragik.
Weiterlesen: Die Frau, die niemals wiederkehrte: Edeltraud Eckert