Vielleicht bekommt man ja Routine?

Doch die nächste Miete wollte bezahlt sein, und ich beschloss, den Schreibagenturen eine weitergehende Chance zu geben. Wenn ich Routine bekam und wenn es mir gelang, eine höhere Hierarchiestufe zu erklimmen, verbesserte sich vielleicht mein Stundensatz. Andere Autoren verdienten doch auch bei solchen Agenturen ihr Geld – zumindest wenn man den einschlägigen Chats und Verlautbarungen im Internet glaubte. Agenturen wie Textbroker oder Clickworker beschäftigen Zehntausende von Autoren, und die meisten sind völlig gutartig, ja mit Begeisterung bei der Sache: vom Schüler, der sein Taschengeld aufpeppt und dabei noch Journalismus übt, über den Hartz-4-Empfänger, der am heimischen Computer dem monotonen Arbeitslosendasein entflieht, bis hin zum pensionierten Professor, der durch Schreiben sein Gehirn in Schwung hält, alle füttern sie die Textportale, und das in einem solchen Ausmaß, dass man sich regelrecht ranhalten muss, um überhaupt Aufträge zu bekommen. War ich vielleicht etwas Besseres als die?

Und dann die Auftraggeber! Wer ließ nicht alles über Textagenturen schreiben: bekannte Firmen, große Portalbetreiber! Bei Independent Publishing beispielsweise gab es Aufträge von ComputerBild: Für 9 Euro – ganz dicker Fisch! – konnte man da in 500 Worten bestimmte Handys oder Router in ihren technischen Einzelheiten beschreiben. Ich las zuweilen Computerbild, und ich hatte mir immer vorgestellt, da wären in Redaktionen und Laboren fleißige Fachjournalisten am Werk („So gründlich testet Computerbild“); aber weit gefehlt, es waren nur kleine anonyme Agenturautoren wie ich, die wahrscheinlich sogar noch stolz darauf waren, sich für 9 Euro pro Artikel in ein renommiertes Blatt einzuschreiben. Im Grunde war ich doch mit diesem Job im Journalismus angekommen – im Arsch des Journalismus, gewiss, aber auch in einem Arsch kann es lebendig und produktiv zugehen. Doch, ich wollte versuchen, mich da reinzufitzen. Vielleicht wurde es ja noch ein interessanter Job.

In den nächsten Wochen schrieb ich ein kunterbuntes Gemisch von Artikeln: Heute ging es um den Service „Rent-a-Dirndl“, morgen um Tipps für billigeres Tanken und übermorgen um das Burnout-Syndrom. Ich muss gestehen, das wilde Durcheinander von banalen und gewichtigen Themen hatte für mich durchaus seine Reize; wahrscheinlich hätte ich langfristig sogar meinen Horizont erweitern können. Doch der Trainingseffekt, auf den ich gehofft hatte, stellte sich auch nach dem zehnten Auftrag nicht ein. Der Zwang, gründlich zu recherchieren und sorgfältig zu formulieren, saß unausrottbar in mir fest und hinderte mich, die Texte mit jener unbekümmerten Routine in die Tastatur zu hämmern, über die andere Autoren offenbar verfügten. Ich brachte halbe Nächte am Computer zu, doch mein Kontostand wuchs nur kleckerweise, und der Gedanke, dass ich für meine Arbeit schlechter bezahlt wurde als eine Näherin in Bangladesh, war eine permanente Demütigung für mich.

Am meisten Zeit kosteten mich die Kundenvorgaben. Jeder Autor einer Schreibagentur muss seine Kunden über eine eigene Editormaske beliefern, die so eingerichtet ist, dass ein Text erst dann verschickt werden kann, wenn alle Vorgaben erfüllt sind. Verlangt der Kunde 300 Worte, so müssen auch mindestens 300 Worte abgeliefert werden. Der Kunde selbst wäre vielleicht zufrieden, wenn er die Informationen, die er anbringen will, in 295 Worten ausgedrückt fände, aber die Software lässt sich nicht erweichen. Man muss Füllworte erfinden, oft auch ganze Füllsätze, bis die gewünschte Wortzahl erreicht ist. Und dann die Keywords: Viele Kunden geben eine regelrechte Liste von Keywords vor, und wenn man Pech hat, sollen diese auch noch mehrfach im Text erscheinen. Damit wird das Schreiben zu einer Art Knobelaufgabe degradiert (Bilden Sie einen Satz mit „Hundehaltung“, „Mietwagen“ und „Sternekoch“), die jedwedes Bemühen um einen gut lesbaren Artikel zunichte macht. Ich erinnere mich besonders an das Vorwort zu einem Online-Reiseführer für die Schweiz, in dem ich je viermal die Keywords „Schweiz Reiseführer“, „Schweiz Reisen“, „Schweiz Info“ und „Reiseführer Schweiz“ anbringen musste. Statt frei die Schönheiten der Schweiz zu schildern, drechselte ich Sätze wie: „Ihr Schweiz Reiseführer begleitet Sie zu…“ oder „Wenn Sie in die Schweiz reisen, sollte diese Schweiz-Info nicht fehlen“. Kürzlich habe ich anhand dieser Keywords meinen Text im Internet gesucht, konnte jedoch nicht fündig werden. Die ganzen Verrenkungen haben dem Kunden wohl bei Google nicht viel genützt.

Ich schrieb hauptsächlich für Independent Publishing, das als Edelportal der Branche galt (2022 nicht mehr existent). Dort wurde etwas besser gezahlt als bei Clickworker oder Textbroker, wo Schreibaufträge mitunter buchstäblich für Centbeträge vergeben wurden. Auch im Arbeitsstil und in der Führung der gut strukturierten Homepage war Independent Publishing seinen Konkurrenten klar überlegen. Doch entsprechend stark war auch der Run der Autoren, so dass die Aufträge dort immer schnell vergriffen waren. In jenen Wochen bin ich frühmorgens immer gleich als erstes zum Computer gehechtet, um verfügbare Schreibaufträge abzugreifen, bevor es jemand anderes tat.

 Auch die Kunden waren strenger und anspruchsvoller als bei anderen Agenturen. Nicht selten musste ich einen Artikel ein- oder gar zweimal umschreiben, bevor ihn der Auftraggeber gnädig abnahm – oder war es eine Auftraggeberin? Die Revisionen wurden niemals unterzeichnet. Auch in dieser Hinsicht herrschte strengste Anonymität. Ich denke, diese Leute wussten sehr genau, an welcher Art System sie da beteiligt waren und welcher Stellenwert dem Autor innerhalb dieses Systems gebührte.

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