Justizirrtum oder Vertuschung eines politsch motivierten Verbrechens? Der Fall Brühne-Ferbach aus dem Jahre 1962 erscheint bis heute rätselhaft.
Am 19. April 1960, es war der Dienstag nach dem Osterfest, wurde der Münchner Gynäkologe Otto Praun im Hausflur seiner Villa in Pöcking tot aufgefunden. Im Keller lag die Leiche seiner Haushälterin und Lebensgefährtin Elfriede Kloo; daneben winselte ein halb verhungerter Hund in einem Verschlag. Die Leichen hatten vor der Entdeckung mehrere Tage so gelegen; der Todeszeitpunkt lag bereits vor Ostern, vielleicht schon am Gründonnerstag, wahrscheinlicher aber erst am Ostersamstag, dem 16. April 1960.
Der ermittelnde Polizeibeamte Kriminalobermeister Karl Rodatus stufte den Fall noch am selben Abend als erweiterten Selbstmord ein: Otto Praun, so konstatierte er, hatte zuerst aus unbekannten Gründen im Keller die Haushälterin getötet, dann den Hund dort eingesperrt und am Ende im Hausflur sich selbst gerichtet. Zwar hatte er das alles seltsamerweise ausgehfertig in Hut und Mantel und mit einer Tasche voller Ostereinkäufe neben sich getan, doch Rodatus war sich der Diagnose des erweiterten Selbstmordes so sicher, dass er weder Obduktionen noch Spurensicherung für notwendig hielt.
Bei diesem Stand der Dinge wäre es geblieben, hätte nicht der Sohn des Toten, Dr. Günther Praun, das Testament seines Vaters gefunden, in dem dieser seiner letzten Geliebten Vera Brühne das lebenslange Wohnrecht auf einer stattlichen Finca in Spanien zusprach. Der Junior schäumte – für ihn war augenblicklich klar, dass Vera Brühne seinen Vater ermordet hatte oder ermorden ließ, um in den Besitz der Finca zu gelangen. Er erstattete Anzeige wegen Mordes, setzte alle Hebel in Bewegung, um eine Exhumierung der Leichen zu erreichen; und die Obduktion ergab in der Tat, was sich auch jeder kriminalistische Laie hätte denken können: dass Otto Praun und seine Lebensgefährtin von fremder Hand getötet worden waren.
Nun wählte man wiederum den schlichtesten Weg, um den frisch generierten Mordfall zu lösen: Man folgte einfach der Vermutung des Sohnes und ermittelte gegen Vera Brühne unter der Annahme, sie hätte sich die spanische Finca unter den Nagel reißen wollen und deshalb ihren Liebhaber umgebracht. Vera Brühne war innerhalb der Münchner Schickeria eine schillernde Figur. Die Zeitungsberichte jener Tage wandten altmodische Bezeichnungen wie „Lebedame“ oder „femme fatale“ auf sie an, mitunter auch drastisch diffamierende Schimpfworte, von denen "Schlampe" oder "Luder" noch die nettestern waren. Sie wurde nicht nur eines wilden Liebeslebens bezichtigt, sondern geradezu in die Nähe der Edelprostitution gerückt – ein Faktor, der sie nach damaligen Begriffen zur idealen Mordverdächtigen machte. Tatsächlich war sie einfach eine zweimal geschiedene Frau und lebte hauptsächlich – damals keine Seltenheit – von dem Geld ihrer Verflossenen. Zum Zeitpunkt des Mordes hatte sie bereits die Fünfzig überschritten, so dass es schon von daher nicht mehr gar so wild war mit dem wilden Liebesleben. Sie selbst erklärte auch, sie sei keineswegs die Geliebte von Otto Praun gewesen, denn er hätte sich nur von sehr jungen Mädchen sexuell angezogen gefühlt. Aber sie war ihm Vertraute und Freundin, gelegentlich auch Sekretärin, und vor allem war sie die Chauffeurin, die ihn regelmäßig nach Spanien kutschierte.
So einleuchtend das klang, er hatte ihr das Wohnrecht auf die Finca vererbt und damit den Ermittlern, die gar zu gern eine Mörderin in ihr sehen wollten, ein simples, aber handfestes Motiv geliefert. Irgendwann entschieden sie, dass Vera Brühne ihn nicht selbst erschoss, sondern sich dafür der Dienste eines ihr hörigen Komplizen bediente. So kamen sie auf Johann Ferbach, einen alten Bekannten der Vera Brühne, gegen den es – abgesehen von der Vermutung, er sei ihr hörig – überhaupt keine Verdachtsmomente gab. Nach dem Szenario, das die Ermittler an ihren Schreibtischen entwickelten, war er derjenige gewesen, der mit einem falschen Empfehlungsschreiben in die Pöckinger Villa eindrang und die tödlichen Schüsse abgab, während Vera Brühne, die Anstifterin, draußen im Wagen wartete.
Jetzt galt es nur noch, dieses Szenario mit Beweisen anzureichern. Indizien oder Anhaltspunkte gab es keine, und von den beiden Verdächtigen selbst waren angesichts der Vehemenz, mit der sie die Tat bestritten, keine Geständnisse zu erwarten. Also trieb man Zeugen auf, die solche Geständnisse gehört haben wollten: Vera Brühnes minderjährige Tochter Sylvia Cossi erzählte einem rührigen Reporter und später auch der Polizei, ihre Mutter hätte ihr den Mord gestanden. Zwar widerrief sie vor Gericht ihre Aussage und behauptete, von dem Reporter massiv unter Druck gesetzt worden zu sein; allein das Gericht, das ihr normalerweise als Tochter der Angeklagten ein Zeugnisverweigerungsrecht hätte einräumen müssen, entschied ohne Zögern, dass nur ihre ursprüngliche Aussage wahr sei, und wertete dieselbe als klaren Beweis für Vera Brühnes Schuld.
In Ferbachs Fall fand sich ein Zellengenosse aus der Untersuchungshaft zu der Aussage bereit, Ferbach hätte ihm am Weihnachtsabend unter einem Tannenbäumchen gebeichtet, aus enthemmter Liebe zu Vera Brühne zwei Menschen umgebracht zu haben. Der Zellengenosse war als langjähriger Polizeispitzel direkt auf Ferbach angesetzt worden und selbst wegen Betruges mehrfach vorbestraft, wobei ihn der zuständige Richter als einen "für die Rechtspflege gefährlichen Lügner" bezeichnet hatte. Doch seine Kollegen im Fall Brühne-Ferbach hegten keine Zweifel, dass Ferbachs Geständnis unterm Tannenbäumchen glaubhaft sei.
Ansonsten konzentrierten sie sich weniger auf die Tatumstände als vielmehr auf den Lebenswandel der Vera Brühne, der zwar für die Tat nicht relevant, aber nach damaligen Maßstäben hochskandalös und verwerflich war. Es traten reihenweise Zeugen auf, die die wüsten Affären der Dame in allen Einzelheiten schildern konnten, bis es am Ende fast unwichtig schien, ob sie eine Mörderin war oder nicht. In jedem Fall hatte sie Strafe verdient. Diese Prämisse bildete das Rüstzeug, mit dem man in die Verhandlung ging, und sie sollte auch tatsächlich zum Schuldspruch führen, denn auf rein sachlicher Ebene hätte dieser nicht durchgesetzt werden können. Am 4. Juni 1962 wurden Vera Brühne und Johann Ferbach wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.