Natürlich trug man Sorge, die lecke Stelle am Damm sofort zu reparieren. Man ging dabei mit harten Bandagen vor: Bereits Ende April 2021 fand bei Richter Dettmar eine polizeiliche Durchsuchung statt. Dienstzimmer, Dienstwagen, Privatwohnung, alles wurde auf das Gründlichste gefilzt – eine Maßnahme, wie man sie für gewöhnlich nur in Fällen von Terrorismusverdacht ergreift. Einen deutschen Richter hatte sie noch nie zuvor betroffen. Als man Dettmars Computer untersuchen wollte, kam heraus, dass er diesen kürzlich entsorgt und durch einen neuen ersetzt hatte. Das erforderte weitere Polizeieinsätze, denn man eilte nun, die Wohnungen aller Verfahrensbeteiligter zu durchsuchen, von der Klägerin über deren Anwältin bis hin zu den ernannten Gutachtern.

Auf deren Handys und Computern fand man dann die Korrespondenz, die der Richter hatte verbergen wollen, und deckte ein unerhörtes Komplott auf: Richter Dettmar hatte den Fall mit Absicht und Vorsatz an sich gezogen. Als Richter wurden ihm bei der Geschäftsverteilung bestimmte Anfangsbuchstaben zugewiesen, und als heimlicher Angehöriger einer oppositionellen Gruppe hatte er mit dafür gesorgt, dass jemand, dessen Name mit einem dieser Buchstaben begann, einen Klageantrag gegen die Maskenpflicht stellte. Er hatte, wie er indirekt selbst einräumte, mit seinem Beschluss, der von Anfang an geplant war, ein politisches Signal setzen wollen.

Damit war der Grund gefunden, Richter Dettmar zu bestrafen – nicht für seine Gesinnung natürlich und auch nicht für seinen Vorstoß, die Maskenpflicht an Schulen auszuhebeln, bewahre, sowas würde ein Rechtsstaat nie tun! Nein, der Vorwurf lautete auf Rechtsbeugung im Amt, auf Verletzung der richterlichen Neutralität. Deshalb wurde gegen Richter Dettmar ein Verfahren eingeleitet.

Noch bevor es zur Verhandlung kam, beschloss das für ihn zuständige Richterdienstgericht Meiningen, ihn vorläufig des Amtes zu entheben und seine Dienstbezüge um ein Viertel zu kürzen. Das war ungewöhnlich, denn üblicherweise wird im Hinblick auf die Unschuldsvermutung mit solchen Strafmaßnahmen abgewartet, bis ein amtliches Urteil vorliegt. Es muss dem Rechtsstaat sehr wichtig gewesen sein, Richter Dettmar wie einen Paria so schnell wie möglich aus den Reihen der Gesunden und Normalen auszustoßen, bevor der Pesthauch seiner Gesinnung womöglich noch auf andere übergriff. Das Richterdienstgericht Meiningen nannte das Vorgehen „entfernungsvorbereitende Dienstenthebung“ und erklärte zur Begründung, es bestünde „eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsgegner in der Strafsache wegen Rechtsbeugung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt werden wird“, da er durch sein Verhalten „das Vertrauen, sowohl des Dienstherren, als auch der Allgemeinheit in die Amtsführung des Richters, unheilbar zerstört hat[4].

Dass ein Richter wegen Rechtsbeugung angeklagt wird, kommt in Deutschland extrem selten vor. Wikipedia verzeichnet in einer Auflistung magere zwölf Beispielfälle seit 1984[5]. Meist betreffen sie minder schwere Vergehen, und meist enden sie mit einem Freispruch des betroffenen Richters. Eine größere Rolle spielt der Tatbestand der Rechtsbeugung bei der Aufarbeitung der NS- und DDR-Justiz: Hier werden Urteile, die unter den ideologischen Vorzeichen eines bestimmten Systems entstanden, nach der Entmachtung dieses Systems als Rechtsbeugung definiert und bestraft – politisch und juristisch heikel, aber menschlich nachvollziehbar, wenn es gilt, Unrecht wieder gutzumachen.

Der Fall des „Maskenrichters von Weimar“ – so wird Dettmar bis heute in den Medien genannt – gehört, wenn überhaupt, eher zur zweitgenannten Kategorie, denn seine politisch-ideologische Komponente ist unbestreitbar. Er konnte nur auf der Basis der Extremsituation Corona entstehen, doch diese Extremsituation hat damals auch bei den Richtern im anderen Lager höchst eigenartige Beschlüsse und Verurteilungen ausgelöst.

So erreichte in ebendiesem Frühjahr 2021 einen Leipziger Familienrichter der als „Anregung“ formulierte Klageantrag einer Mutter, die ermutigt durch den Weimarer Beschluss auch für ihre eigenen Kinder beziehungsweise für deren Mitschüler Entlastung von der Maskenpflicht begehrte. Der Leipziger Familienrichter beschied den Antrag mit einer für die deutsche Justiz ganz außergewöhnlichen Geschwindigkeit. Noch am Tag des Antragseingangs, dem 15.04.2021, erging an die Antragstellerin ein sogenannter Hinweisbeschluss, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Der Richter wies die Antragstellerin ab und stellte klar, dass er „kein Verfahren gem. § 1666 ff BGB … in Bezug auf alle weiteren Schulkinder … eingeleitet hat und auch nicht einleiten wird“[6]. Auch beschränkte er die Prüfung des Falles von vornherein auf eines der Kinder und ließ das andere außen vor[7].

Dennoch waren die Kosten des gar nicht eingeleiteten Verfahrens von der Antragstellerin so zu tragen, als sollte es in Bezug auf beide Kinder und deren sämtliche Mitschüler durchgeführt werden. Und diese Kosten hatten es in sich: Der Richter setzte in einem beigefügten Kostenbeschluss, basierend auf dem Höchstsatz in Familiensachen, einen Verfahrenswert in Höhe von 4.000 Euro pro Kind an. Nun hatte aber die Mutter ihren Klageantrag, wieder analog zum Beschluss von Weimar, auf sämtliche an den beiden Schulen ihrer Kinder unterrichteten Schüler erweitert, und das waren 1.030 an der Zahl. Der Richter setzte für jeden einzelnen Schüler besagte 4.000 Euro an, multiplizierte die Beträge und kam auf einen Verfahrenswert in Höhe von 4.120.000 Euro, so dass die Klägerin, eine alleinerziehende Mutter in bescheidener Einkommenslage, laut Gerichtskostentabelle 30.711 Euro an das Gericht zu zahlen hatte.

Bitte nicht vorschnell nach Luft schnappen, es kommt gleich noch einen Zahn schärfer: Der Leipziger Familienrichter ging nämlich auch auf den Inhalt des Klageantrags ein und erklärte den Beschluss von Weimar, auf den er sich bezog, für abwegig. Der Staat sei kein „Dritter“ im Sinne des § 1666 Abs. 4 BGB, sondern der oberste und entscheidende Wächter über das Kindeswohl, und dieses sei, wie jedem einleuchten müsse, nicht durch die Aufhebung, sondern einzig und allein durch strengste Durchführung der Maskenpflicht gewährleistet. Von daher sehe der Richter Anlass, „die elterliche Erziehungseignung der Kindesmutter zu überprüfen[8]“. Er werde unter Einschaltung des Jugendamtes zwei Verfahren gegen sie anstrengen – einstweilige Anordnung und Hauptsacheverfahren –, die „wesentlich die Prüfung zum Gegenstand haben, ob und ggf. in welchem Umfang die Kindesmutter in der Lage ist, die elterliche Verantwortung für ihren Sohn wahrzunehmen und am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidungen zu treffen.[9]

Heißa, ein Beschluss wie ein Schlag in den Magen – das war doch endlich mal ein Richter von echtem deutschem Schrot und Korn! Hätte die Antragstellerin nicht eine starke Front von Gleichgesinnten hinter sich gehabt, sie wäre finanziell und menschlich erledigt gewesen. Jener Leipziger Richter war ganz der Mann, sowohl die horrende Geldforderung als auch den Plan, der unbotmäßigen Mutter ihre Kinder wegzunehmen, mit jener Konsequenz zu betreiben, die man aus finstersten Richterzeiten kennt. Oder ging es ihm bloß um die Drohgebärde? Wollte er die Frau um Gnade winseln sehen?

In praxi kam es jedenfalls nur halb so wild. Am nächsten Tag übersandte der Richter einen weiteren Beschluss, in dem er seine Kostenentscheidung korrigierte und den Verfahrenswert auf schlappe 500.000 Euro reduzierte[10]. Wahrscheinlich hatte man ihm intern zu verstehen gegeben, dass er mit seiner Kostenfestsetzung wohl doch ein wenig übers Ziel hinausschoss. Die Berechnung war auch jetzt im Ansatz unzulässig und der Betrag noch immer absurd hoch, doch für die Antragstellerin wurde in den Kreisen der Maskengegner eine Sammlung initiiert, mit der man ihn unschwer zusammentrug. Selbst aus dem Ausland trafen Spenden ein. Darüber hinaus meldete sich bei Gericht eine vermögende Privatperson mit der Ankündigung, sämtliche Rechnungen in dieser Sache übernehmen zu wollen.

Auch das Verfahren der Kindesentziehung ließ man stillschweigend wieder fallen – es durchzuführen, wäre angesichts der damaligen hochgespannten Lage wohl doch ein wenig heikel gewesen. Gegen den strammen Familienrichter gingen mehrere empörte Strafanzeigen wegen Rechtsbeugung ein, doch es versteht sich, dass der Staat nichts unternahm, um einen derart treuen Staatsdiener zu bestrafen. Der Mann ist heute noch in Amt und Würden (Stand 2025), unantastbar wie alle Richter, die politisch in der Spur bleiben. Doch sein Handeln zeigt eindrucksvoll, dass schon eine einzige Krise ausreicht, damit unsere Repräsentanten die demokratischen Masken fallenlassen und die offene Diktatur propagieren.