Richter sind in ihrem Amt nahezu unantastbar. In anderen Berufsgruppen werden die Menschen für Fehler persönlich zur Verantwortung gezogen: Der Chirurg, der das falsche Bein amputiert, muss ebenso mit Konsequenzen rechnen wie der Ingenieur, auf dessen Konstruktion die eingestürzte Brücke beruht. Nicht so der amtierende Richter. Der darf beliebig Unschuldige wegsperren, alternative Fakten kreieren und Gesetze im gewünschten Sinne verdrehen, ohne dass auch nur die kleinste Rüge jemals seine Karriere trübt und ohne dass er die Rückendeckung durch seine Kollegen verliert. Doch diese Freiheit, oft mit Stolz als Teil der richterlichen Unabhängigkeit gerühmt, beruht auf der Prämisse eines absoluten Staatsgehorsams, denn eines darf der Richter nicht: die Hand beißen, die ihn füttert.
Was einem Richter blüht, wenn er das versucht, schildert die folgende Geschichte. Sie ereignete sich im turbulenten Frühjahr 2021, auf dem Höhepunkt der Corona-Hysterie. Erinnern wir uns: Die Regierung hatte zur Eindämmung der Corona-Pandemie strengste Maskenpflicht in allen öffentlichen Räumen verordnet. Als das nichts half und die Inzidenzen weiter stiegen, postulierte man, das liege an der Art der Maske: Eine gewöhnliche Maske reiche nicht aus, es müsse unbedingt eine medizinische FFP2-Maske sein.
Das Gros der Bevölkerung vertraute der Regierung und nahm mit deutscher Hingabe daran teil, die Maßnahmen der Obrigkeit umzusetzen. Wer der Maskenpflicht zu lax oder gar nicht nachkam, musste mit übelsten Anfeindungen rechnen, mit gesellschaftlicher Ächtung und Isolation. Im Supermarkt wurden Leute angeschnauzt, sobald nur deren Maske ein bisschen schief saß. Bei Veranstaltungen verwies man jeden des Raumes, der mit einer Alltagsmaske erschien, ob er ein Ticket bezahlt hatte oder nicht. Ich habe persönlich zweimal erlebt, wie in Arztpraxen Patienten die Behandlung verweigert wurde, weil sie keine FFP2-Maske trugen; einmal handelte es sich klar um einen Notfall. Offenbar drohte der Sprechstundenhilfe mehr Ärger, wenn sie einen Patienten ohne FFP2-Maske vorließ, als im Falle seines Todes. Der Terror der braven und staatstreuen Bürger, die die Macht auf ihrer Seite wussten, sah dem Terror einer offenen Diktatur zum Verwechseln ähnlich.
Doch es gab auch überraschend starken Widerstand gegen die Corona-Politik der Regierung, und der wurde nicht nur in Querdenker-Demos und Parteiquerelen ausgetragen, sondern auch auf dem Feld der Wissenschaft. Nicht wenige Ärzte und Virologen hegten Zweifel am Sinn der strikten Maskenpflicht. Schon statistisch gesehen war es höchst unrealistisch, dass dadurch in nennenswertem Ausmaß Corona-Infektionen vermieden wurden. Man hätte mehreren zehntausend Menschen pro Tag hätte begegnen müssen, um mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen einzigen Infizierten zu stoßen, vor dem die Maske hätte schützen können. Auch zeitigte das ständige Maskentragen gesundheitsschädigende Nebeneffekte: Beeinträchtigungen bei der Atmung und bei körperlichen Anstrengungen, vermehrtes Auftreten von Bakterien, Reizungen und Hautkrankheiten sind nur einige der Beschwerden, die von skeptischen Wissenschaftlern festgestellt wurden.
Die Befürworter der Coronapolitik wollten von solchen Argumenten nichts hören. Von Anfang an wurde klargestellt, dass dies kein Gegenstand für Meinungsstreit und wissenschaftliche Debatten sei. Die Regierung hatte beschlossen, sich allein an den Vorgaben und Ansichten des Robert-Koch-Instituts zu orientieren. Nur diese entsprachen der Wissenschaft, hieß es, und nur diese musste man umsetzen – jede abweichende Meinung wurde ohne Prüfung als unwissenschaftlich verworfen. Es war diese strikte Unterdrückung und Verteufelung der Andersdenkenden, die das gesellschaftliche Klima vergiftete und die Wahrheit auf beiden Seiten zur Nebensache degradierte. Familien zerstritten sich, Freundschaften zerbrachen. Die Nation war tief gespalten.
In dieser Lage kam der Weimarer Familienrichter Christian Dettmar auf den Gedanken, die berühmte richterliche Unabhängigkeit auf die Probe zu stellen. Er traf eine Entscheidung in ausdrücklichem Widerspruch zu den Coronamaßnahmen der Regierung. Basis war die Klage einer zweifachen Mutter, welche die Gesundheit ihrer Kinder durch die Maskenpflicht gefährdet sah. Richter Dettmar gab der Klage statt und berief sich dabei auf § 1666 Abs. 4 BGB, wonach das Familiengericht im Falle einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls „auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten“ [1], also in diesem Falle gegen die staatlichen Behörden treffen darf. Auf dieser Basis erließ Dettmar einen Beschluss, der die Maskenpflicht an gleich zwei Weimarer Schulen wieder aufhob. Das war möglich, weil die Kinder, um die es hier ging, an zwei verschiedenen Schulen unterrichtet wurden. Der Beschluss erstreckte sich auf die gesamte Schülerschaft an beiden Schulen. Er war unter Heranziehung mehrerer eigens beauftragter Expertengutachten akribisch begründet und umfasste nicht weniger als 190 Seiten[2].
Klagen wie diejenige in Weimar hat es damals etliche gegeben, denn die Maskenpflicht an Schulen war besonders umstritten. Doch auch hier galt, dass allein die Regierung bestimmte, wie man Kinder durch die Pandemie zu führen hatte, weshalb die Klagen bisher alle abgeschmettert beziehungsweise gar nicht erst zugelassen worden waren. Jetzt aber hatte erstmals ein Richter, Beamter und Diener des deutschen Staates, im Sinne der Opposition entschieden, und das wirkte wie ein kleiner Dammbruch. Als dann auch noch Familienrichter in Weilheim und ein zweites Mal in Weimar mit ähnlichen Entscheidungen nachzogen, prasselte eine wahre Flut von einschlägigen Klageanträgen auf die deutschen Gerichte nieder. In den Anwaltskanzleien häuften sich Anfragen von Eltern, die nun reale Chancen sahen, ihre Kinder vor der Maskenpflicht zu bewahren.
Doch der justizinterne Aufruhr sorgte zwar für eine Menge Trubel, konnte aber inhaltlich kaum etwas bewegen, schon weil er von so wenigen getragen wurde. Die meisten Juristen zeigten sich empört über Richter Dettmars Handeln. Es wirkte auf sie wie ein Akt des Hochverrats, wie eine Nestbeschmutzung, wie ein Dolchstoß in den Rücken eines arglosen Freundes. Gegen Richter Dettmar wurden mehrere Strafanzeigen gestellt. Der Freistaat Thüringen erhob umgehend Beschwerde gegen den rebellischen Beschluss, der daraufhin vom OLG Jena am 14.05.2021 wieder aufgehoben wurde[3].