2014 erhielt ich vom Industriesalon Schöneweide den Auftrag, für drei geplante Informationsbroschüren Porträts von ehemaligen Mitarbeitern der großen Industriebetriebe längs der Wilhelminenhofstraße zu erstellen. Der Industriesalon, ein eingetragener Verein, der sich die Aufbereitung der Industriegeschichte am Standort Berlin-Schöneweide zum Ziel gesetzt hat, war auf mich gestoßen, weil ich selbst zu DDR-Zeiten mehr als zehn Jahre lang im TRO (Transformatorenwerk Oberschöneweide) gearbeitet hatte. Dazu ein Zitat aus dem Vorwort der TRO-Broschüre:
Mich selbst verbindet mit dem TRO eine ganz persönliche Beziehung,denn ich habe als junge Autorin lange Jahre dort gearbeitet. Es war eine kleine Zeitungsannonce, die mich in den Betrieb geführt hat:„Schreibkraft für die Wochenenden gesucht“. Die Annonce kam von Horst Hadinek, dem Leiter der Hauptabteilung Transport und Versand im TRO Schöneweide. Er hatte damals ständig das Problem, dass der Transport auch an den Wochenenden abgefertigt werden musste, dann aber kaum jemals Schreibkräfte zum Ausstellen der benötigten Papiere verfügbar waren. Ich wiederum suchte nach einer Arbeit, die mir möglichst viel Zeit zum Schreiben ließ, und nachdem ich Horst Hadinek meine literarischen Ambitionen gestanden hatte, sorgte er dafür, dass eigens für mich eine ungewöhnliche Halbtagsstelle geschaffen wurde: Die Arbeitszeit begann freitags um eins und umfasste zwanzig Stunden bis zum Sonntag Nachmittag – ein Arrangement, wie es wohl nur unter DDR-Bedingungen denkbar war; doch es erwies sich als vorteilhaft für beide Seiten.
„TROjaner“ nannte der Abteilungsleiter die Angehörigen des Betriebes,und das gefiel mir von Anfang an. Schon als Kind beim Lesen der griechischen Sagen hatte ich stets gegen die Griechen und für die Trojaner Partei ergriffen. So wurde ich gern TROjanerin und blieb es mehr als zehn Jahre lang. Ich tippte eine Unmenge an Frachtpapieren, Briefen, Rechnungen und SED-Parteireferaten, nahm an vielen mehr oder weniger stimmungsvollen Betriebsfesten, Weihnachts- und Frauentagsfeiern teil und lernte ungeachtet der Einsamkeit meines Wochenend-Arbeitsplatzes die Kollegen von der Versandabteilung im Laufe der Jahre recht gut kennen. Mit Dieter Scholz, einem der TROjaner,die im Folgenden ihre Geschichte erzählen, bin ich bis zum heutigenTag befreundet.
Nach der Wende gehörte ich allerdings zu den Ersten, die ihre Kündigung erhielten; einen solch exklusiven Arbeitsplatz wie meinen hatte nur die DDR sich leisten können. Die Transport- und Versandabteilung,der noch immer Horst Hadinek vorstand, rettete sich mit der Gründung eines Speditionsunternehmens in die Selbstständigkeit. Die übrigen TROjaner teilten nur wenige Jahre später das Los ihrer mythischen Namensgeber: Sie wurden besiegt und gingen unter, nachdem sie ein gewaltiges „trojanisches Pferd“ in ihre Werktore eingelassen hatten.
Die Broschüren zum Tranformatorenwerk Oberschöneweide (TRO) und zum Kabelwerk Oberspree (KWO) liegen mittlerweile fertig vor. Die dritte, die dem Werk für Fernsehelektronik (WF) gelten sollte, ist aufgrund interner Querälen nicht zustande gekommen, und es besteht auch wenig Aussicht, dass sie je zustande kommen wird. Schade - ich liebe Trilogien.