Lolita Brieger wurde mit achtzehn ermordet, doch ihr Leichnam blieb jahrzehntelang verschwunden. Ihr Fall zeigt, wie überaus schwierig es ist, einen Angeklagten in einem sogenannten cold case zu überführen.

Ein kleines Eiffeldorf in den 1980-er Jahren. Die junge Lolita Brieger verliebt sich  in einen Jungen aus der Nachbarschaft. Die Liebe ist auf beiden Seiten echt und stark, aber durch die Umstände zum Scheitern verurteilt: Lolita wird als Kind aus armer Flüchtlingsfamilie in dem kleinen Eiffeldorf nicht akzeptiert, ihr Geliebter Josef Klein dagegen ist Großbauernsohn und künftiger Erbe eines stattlichen Gehöftes.

Der Vater droht, ihn zu enterben und vom Hof zu jagen, falls er Lolita heirate; und der Sohn, ohnehin dem Vater sklavisch ergeben, hält dem despotischen Druck nicht stand. Er bricht mit dem Mädchen, das zu dieser Zeit von ihm schwanger ist, und sieht in ihr fortan nur mehr das „Fraumensch“, das „letzte Stück Dreck“, das seine Existenz zu zerstören droht.

Für den 4. November 1982 ist ein letztes Treffen auf dem väterlichen Hof verabredet, bei dem Lolita Geld für eine Abtreibung in Holland erhalten soll. Doch dieses Geld will die Familie sparen. Lolita kehrt von dem Treffen niemals zurück. Natürlich munkelt man im Dorf, dass die Kleins sich ihrer entledigt hätten, doch da ihre Leiche nicht gefunden wird, gibt es für den Verdacht keinen Anhaltspunkt. Die örtlichen Ermittlungsbehörden legen auch nicht gerade Übereifer an den Tag.

Josef Klein lebt unbehelligt das Leben, das Lolitas Verschwinden ihm ermöglicht hat. Er erbt den väterlichen Hof, aber er hat keine Freude daran. Er knüpft Beziehungen zu vielen Frauen, aber früher oder später wird er jeder überdrüssig. Es ist, als hätte er durch den Bruch mit Lolita für immer seine Chance auf Glück und Liebe zerstört, so wie Goethes wilder Knabe, als er das scheinbar wehrlose Heideröslein brach. Einmal fragt ihn eine seiner Lebensabschnittsgefährtinnen nach Lolita Brieger. Er erklärt, ohne mit der Wimper zu zucken, sie hätte von ihm Geld für eine Abtreibung erhalten, sei dann auf die schiefe Bahn geraten und lebe heute als Prostituierte in Holland.

2011 die unverhoffte Wendung: Der Fall Lolita Brieger wird als cold case in der Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ bekanntgemacht. Es meldet sich eine Frau, die einen möglichen Zeugen benennen kann. Es ist ein Freund von Josef Klein, der diesem seinerzeit geholfen hat, Lolitas Leichnam beiseite zu schaffen. Da ihm strafrechtlich nach all den Jahren nichts mehr passieren kann, entschließt er sich, auszusagen und das Versteck der Leiche zu benennen. Lolita liegt auf dem Grunde einer Müllhalde, entsorgt wie das „letzte Stück Dreck“, das sie zuletzt in Josefs Augen gewesen ist. Bevor er sie mit einem Eisendraht strangulierte, hatte er ihr den Pullover hoch über den Kopf gezogen, wahrscheinlich um ihr Gesicht dabei nicht sehen zu müssen.

Der Mörder Lolitas wird nun also nach Jahrzehnten straffreien Lebens aus seiner Sicherheit herausgerissen und von der Nemesis ereilt. Im Frühjahr 2012 findet in Trier der Prozess gegen Josef Klein statt. Der Staatsanwalt plädiert wunderschön, aber er steht auf verlorenem Posten, denn Josef Kleins Verteidiger hat ein Argument, so schlicht wie schlagend: Es könnte ja auch Totschlag gewesen sein. Davon hat das Gericht auszugehen, da die Mordmerkmale Vorsatz und Heimtücke nach so langer Zeit nicht mehr nachzuweisen sind. Und Totschlag ist nach zwanzig Jahren verjährt. Da ist es gar nicht nötig, dass Klein entsprechend aussagt. Es genügt, dass er schweigt und seinen eloquenten Anwalt reden lässt. Er sagt während des ganzen Prozesses kein Wort, macht nicht mal Angaben zur Person, und verlässt das Gericht als freier Mann. So leicht kann es sein, einen Prozess zu gewinnen.

Bis heute lebt Josef Klein in demselben Eiffeldorf seiner Jugend, wo er einst Lolita traf, Tür an Tür mit den Nachbarn, die alle Bescheid wissen, was er ihr angetan hat. Er soll kaum noch aus dem Haus gehen, seinen Hof hat er längst aufgegeben. Die Justiz konnte ihn nicht fassen, doch er muss mit zerstörtem Ruf in lebenslanger öffentlicher Schande leben. Ganz ungestraft kommt er nicht davon.

Lolita Brieger, ein früh gebrochenes Heideröslein. Doch auf mysteriöse Weise hat es zurückgestochen und noch aus dem Grab heraus auch das Leben seines Mörders zerstört.

Achtung: Dieser Aufsatz ist das "Abfallprodukt" einer größeren Arbeit, die mich gerade beschäftigt. Es geht um das Thema Migrantenbonus (oder auch "Kulturbonus") vor Gericht. Zu den geschilderten Rechtsbeispielen (hier ist es der Fall Frederike von Möhlmann) ziehe ich jeweils Parallelen heran. Sie sollen mit der Zeit eine kleine Reihe von historischen Kriminalfällen bilden, die ich in meinem Blog einstellen werde.

 

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