Wer im Auto durch Europa tourt, lebt gefährlich: Touristenwagen sind begehrte Abschleppobjekte. Das erlebte ich im Sommer 2014 im schönen Wien.

Was könnte in Wien wohl am eindrucksvollsten sein? Der Prater? Die Heurigenlokale? Die Sissi-Ausstellung in der Hofburg? Weit gefehlt. Das eindrucksvollste Erlebnis harrte unser am allerletzten Morgen in Wien: Als wir vor die Hoteltür traten, fanden wir dort, wo unser Auto geparkt hatte, nur noch einen leeren Fleck vor. Das gute Stück war abgeschleppt worden. In den nächsten Stunden entfiel zwar das geplante Sightseeing, doch dafür lernten wir die Stadt von einer Seite kennen, die den meisten Wien-Touristen hoffentlich verschlossen bleibt.

Auto am Haken - das wird teuer

Unser Auto befand sich in der Wiener „Verwahrstelle“, wie sie so schön österreichisch heißt, und die lag in der Jedletzberger Straße, weit draußen vor den Toren der Stadt. Um die saftigen Kosten, die auf uns zukamen, nicht noch durch eine Taxirechnung zu erhöhen, entschlossen wir uns, mit den öffentlichen Wiener Verkehrsmitteln hinzufahren. Wir mussten dreimal umsteigen, zuletzt in einen Vorortbus, der nur im Stundentakt verkehrte und nach Murphys law natürlich gerade weg war. Doch sogar damit konnten wir die Jedletzberger Straße nicht ganz erreichen. Die letzten beiden Kilometer legten wir zu Fuß zurück. Es war ein heißer Sommertag. Unter glühender Sonne stapften wir durch das öde Gewerbegebiet. Endlich kam die Verwahrstelle in Sicht, ein gigantisches Areal, voll mit Autos, Autos, Autos, soweit das Auge reichte. Nach eigenen Angaben fängt der Abschleppdienst pro Tag bis zu 120 Wagen ein, pro Jahr sollen es etwa 30.000 sein. Das Autoabschleppen muss für die Stadt Wien eine wahre Goldgrube sein. 

Ein routinierter Beamter präsentierte uns die Rechnung. Sie belief sich auf 260 Euro: Abschleppkosten, polizeiliche Verwarnung und gleich zwei Tagessätze Verwahrgebühr, denn das Abschleppen des Wagens war schon am Abend zuvor erfolgt, von uns jedoch erst an diesem Morgen bemerkt worden. „Zoahlen’s in boar oder mit der Koarten?“ Widerspruch hatte keinen Zweck; in der Verwahrstelle sind alle Bürgerrechte ausgehebelt. Wenn man seinen Wagen auslösen will, muss man zahlen, und wenn man zahlt, ist das gleichbedeutend mit einer Anerkenntnis der eigenen Schuld und der Rechtmäßigkeit des Abschleppens. Der staatlich sanktionierte Straßenraub geht einher mit der staatlich sanktionierten Nötigung – ein sicheres, wasserdichtes Geschäft, dessen Opfer natürlich in erster Linie ausländische Touristen sind. Die kennen die einheimischen Regeln nicht, sie tappen arglos in jede Falle, und was das Wichtigste ist: Sie sind vollkommen wehrlos. Ein Einheimischer kann sich, wenn er denn meint, ihm sei Unrecht geschehen, eine Zeitlang vielleicht ohne Auto behelfen und den Kampf mit den Behörden aufnehmen. Einem Ausländer jedoch, dessen Aufenthalt begrenzt ist, steht dieser Weg in der Regel nicht frei.

Infolgedessen wird die Maßnahme des Abschleppens, die offiziell nur im Fall einer massiven Verkehrsbehinderung oder -gefährdung zum Einsatz kommen darf, auch in Bagatellfällen munter ergriffen. Gründe zum Abschleppen finden sich immer; eigentlich bedarf es überhaupt keiner Gründe. Da das juristische Risiko gleich Null ist, könnte man theoretisch jeden Ausländerwagen vom Straßenrand pflücken und der Geldeinnahme zuführen. In meinem Fall hatte der Wagen zu dicht an einer Ecke gestanden. Dadurch war zwar niemand behindert oder gar gefährdet worden, so dass eine Verwarnung möglicherweise Strafe genug gewesen wäre. Doch die hätte der Wiener Stadtkasse bei Weitem nicht so viel eingebracht.

Natürlich ist Wien nicht die einzige Stadt, die diese sprudelnde Geldquelle für sich entdeckt hat. Wer im Auto durch Europa tourt, lebt gefährlich, denn das Abschleppen von ausländischen Wagen wird in vielen touristisch attraktiven Städten mit wachsender Begeisterung praktiziert. Berüchtigt ist beispielsweise Prag, wo fast die gesamte Innenstadt als „blaue Zone“ einem Parkverbot unterliegt, was aber viele Touristen nicht wissen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie dort zwei Polizisten gemeinsam mit einem Abschleppwagen ihren Dienst versahen. Sie notiierten ein Touristenauto nach dem anderen und überließen es sogleich den Greifern.

Doch die Frage bleibt, ob diese Praxis den Städten nicht langfristig eher schadet als nützt. Wer sich mit derart unmoralischen Mitteln die Kassen füllt, schreckt die Touristen ab, verprellt nicht wenige für immer; und dieser Aspekt dürfte vielleicht sogar diejenigen interessieren, die moralisch kein Problem mit der Touristenabzocke haben. Die Erinnerung an Wien ist mir nachhaltig verleidet. Ich hätte Angst, dort je wieder Auto zu fahren, und noch mehr Angst, dort je wieder ein Auto zu parken. Mögen andere das Bild der Stadt mit dem Prater, den Heurigenlokalen und der Sissi-Nostalgie verbinden, ich verbinde es jetzt nur mehr mit dem langen Weg in die Jedletzberger Straße, mit dem riesigen Fuhrpark der abgeschleppten Autos, mit der Erbitterung über den Geldverlust und über das Unrecht, dem ich mich wehrlos ausgeliefert sah. Es war mein eindrucksvollstes Wien-Erlebnis.

 

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