Genialer Krimiautor: Friedrich Dürrenmatt (1921-1990)Viele Prosa-Autoren wären glücklich, wenn es nur eine einzige gelungene Verfilmung ihrer Werke gäbe. Zu Friedrich Dürrenmatts Meisterkrimi „Das Versprechen“ von 1958 gibt es – neben etlichen schlechten – sogar gleich zwei gute Filmversionen. Sie sind so unterschiedlich, wie Filme nur sein können, und sie sind beide nicht als Verfilmungen im klassischen Sinne zu betrachten. 

Der erste ist „Es geschah am helllichten Tag“ in der Regie von Ladislao Vajda. Er entstand 1958, im selben Jahr wie „Das Versprechen“, doch er ist nicht der Film zum Buch, sondern umgekehrt: „Das Versprechen“ ist das Buch zum Film, und mehr als das Buch – der Kommentar zum Film, die Variation zum Film, im Endeffekt fast die Negation des Films. Friedrich Dürrenmatt hatte 1957 gemeinsam mit Ladislao Vajda und Hans Jacoby das Drehbuch für einen Kriminalfilm verfasst; vorgegeben war, es solle um Sexualdelikte an Kindern gehen. Nach zahlreichen Querelen und Verzögerungen kam das Filmprojekt tatsächlich zustande, doch es befriedigte den Autor nicht: zu glatt, zu nett, zu positiv.

Und so schrieb er „Das Versprechen“ als „Requiem auf einen Kriminalroman“: Wo der Film nach dem klassischen Muster der Fallaufklärung abläuft, wird in der Buchversion ebendieses Muster ad absurdum geführt. Hier kommt der gesuchte Mörder bei einem Verkehrsunfall ums Leben, kurz bevor der Kommissar ihn fassen kann; und allein durch diesen Kunstgriff nimmt all das, was sich im Film so glücklich fügte, im Roman eine bitterböse Wendung: Statt für seine Heldentat gefeiert zu werden, endet hier der Kommissar in Verkommenheit und Suff. Frau Heller, im Film ein sanftes, properes Frauchen, dessen einzige Schuld darin besteht, unverheiratet ein Kind zu haben, ist in der Rahmenhandlung des Romans eine abgewrackte Dorfnutte, während ihre Tochter, die niedliche kleine Annemarie aus dem Film, hier kaum sechzehnjährig schon zur asozialen Schlampe verkommt.

 Im Film gefällige Konstruktion, im Roman ungeschönter Realismus – so mag wohl Dürrenmatts Intention gewesen sein. Doch heute, da sich die Patina der Zeit auf Dürrenmatts und Vajdas Film gelegt hat, kann man die kritische Sicht des Autors auf sein Ursprungswerk kaum noch verstehen. Gefälligkeit hin oder her, Vajdas Film ist auf seine Art so wunderbar gelungen wie Dürrenmatts Roman. „Es geschah am helllichten Tag“ verdient mit seiner klugen Konstruktion, seinem geschickt gehaltenen Spannungsbogen und seinen lebendigen Dialogen einen Platz in der ersten Reihe des klassischen Kriminalfilms; und gerade das, was Dürrenmatt vermutlich am meisten auf den Wecker fiel: das biedere, liebe Schweizer Kolorit, von dem der Film durchzogen ist, trägt heute, zumindest für mich, dazu bei, ihm jene ganz eigene Atmosphäre zu verleihen, die ein großes Kunstwerk ausmacht.

Ganz anders gestrickt, doch nicht weniger grandios ist der zweite erwähnenswerte Film, der auf dem Dürrenmatt-Stoff beruht: die Hollywood-Produktion „The Pledge“ aus dem Jahre 2001. Regisseur Sean Penn hat die Geschichte aktualisiert und in das heutige Nevada übertragen, und es ist erstaunlich, wie gut das funktioniert. „The Pledge“ hat fast etwas Westernhaftes, mit Panoramaschwenks über endlos weites Land, mit ländlichen Volksfesten und Cowboymilieu. Der Film ist mehr Psychodrama als Krimi, denn adaptiert wird – fast möchte man sagen: natürlich – die harte Version des Romans und nicht das Happy End des Ursprungsfilms. Am Ende sitzt, ganz wie in Dürrenmatts Text, der Kommissar als starr verblödetes Wrack auf der Bank, um einen Mörder zu erwarten, der nie kommen wird. Hier ist die Tragödie sogar noch schärfer, denn innerhalb des Films erfährt kein Mensch, dass der Kommissar eigentlich richtig lag; das wissen nur wir Zuschauer, und selbst wir können uns da nicht ganz sicher sein. Der Mörder bleibt ein unbestimmter Schemen, ein Geist, der manchmal aufzutauchen scheint und sofort wieder im Nebel verschwindet.

Auch im Handlungsstrang um die alleinerziehende Mutter, die sich der Kommissar ins Haus holt, geht der Film über Dürrenmatts Version hinaus: Lori, schön gespielt von Robin Wright Penn, ist hier weder eine Hure noch ein edles Neutrum, sondern einfach eine Frau, die Schweres erlebt hat und um ein bisschen Glück im Leben kämpft. Während Dürrenmatts Roman wie ein Kommentar zum Film von 1958 erscheint, erscheint der Film von 2001 wie ein Kommentar zu Dürrenmatts Roman.

Zwei Filme, zwei Welten, zusammengehalten von einem mäßig dicken Buch, das beide Welten in sich trägt. Ein starker Plot, der über Zeit und Kontinente hinweg eine solche Variationsbreite entfalten kann.

 

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