Agnus Dei - die UnschuldigenDer französische Spielfilm „Agnus Dei – die Unschuldigen“ handelt von geschwängerten Nonnen; doch den Zuschauer erwartet kein pikantes Klosterdrama, sondern eine Geschichte über Kriegsgräuel und Leiden – und über die Kraft des Lebens, die trotz allem triumphiert.

Wenn man den Trailer anliest, wallen kurz all die pikanten Assoziationen auf, die man aus Film und Literatur mit dem Stichwort „schwangere Nonnen“ verbindet: verführte Schwestern, lüsterne Priester, verbotene Sünden hinter Klostermauern. Doch schon der zweite genauere Blick zerstört die erregende Vorstellung. Hier geht es nicht um gebrochene Keuschheitsgelübde. Hier geht es nur um Gewalt und grenzenloses Leid.

1945 zog die Rote Armee in Polen ein, ein riesiges Heer von glorreichen Siegern. Sie befreiten das Land von den deutschen Besatzern und nahmen deren Stelle ein. Was immer sie vorfanden, gehörte ihnen. Sie plünderten die polnischen Höfe, sie tranken den polnischen Schnaps, und sie nahmen sich die polnischen Frauen. Das Letztere war natürlich von besonderem Gewicht. Seit jeher wird der Sieg eines russischen Heeres dadurch gekrönt, dass es sich die Frauen der Besiegten unterwirft. Zehntausende von siegestrunkenen, über Jahre kriegsverrohten und sexuell ausgehungerten Soldaten machten Jagd auf alles, was Röcke trug. Sie kannten keine Rücksicht auf jungfräuliche Mädchen, keinen Respekt vor alten Frauen. Und in einem Punkt gingen sie sogar noch über die Schandtaten hinaus, die ihre Vorfahren in solchen Situationen begangen hatten: Sie fielen in die Klöster ein und vergewaltigten die Nonnen. Das Tabu der Religiosität war in ihrer kommunistisch regierten Heimat schon Jahrzehnte zuvor gefallen, so dass die klösterliche Lebensform für ihre Gelüste kein Hindernis war, vielmehr möglicherweise sogar ein zusätzlicher blasphemischer Reiz. Zumindest einige von ihnen haben wohl auch die pikanten Geschichten von der Fleischeslust hinter Klostermauern gekannt.

Die französische Ärztin Madeleine Pauliac weilte im Winter 1945 auf einer Mission des Roten Kreuzes in Polen. Dort wurde sie von Nonnen um Hilfe gebeten, die an den Folgen einer russischen Massenvergewaltigung litten. In ihren Aufzeichnungen schildert sie die Zustände in einem Kloster nahe Warschau; doch man kann davon ausgehen, dass sich Ähnliches in vielen Klöstern Polens sowie anderer von den Russen besetzter Länder abgespielt hat, auch wenn es darüber kaum Zeugnisse gibt. Die katholische Kirche, so gern sie sonst mit ihren Märtyrern hausieren geht, hat einen dichten Schleier des Geheimnisses über diese Vorfälle gebreitet. Doch die Aufzeichnungen der Madeleine Pauliac – die übrigens kurze Zeit danach bei einem Autounfall jung verstarb – haben sich erhalten und bildeten die Basis für den Spielfilm „Agnus Dei – die Unschuldigen“, den die französische Regisseurin Anne Fontaine 2016 realisierte und der in Frankreich erstaunlich erfolgreich war. Dabei ist er in keiner Hinsicht spektakulär, nur ein solider und kluger Film, fast kammerspielhaft eindringlich inszeniert und von einem exzellenten Darstellerensemble getragen. Insbesondere die polnischen Damen agieren mit einer Intensität, wie sie nur aus der Verbindung mit der eigenen Geschichte entspringt.

Der Film zeigt die Geschehnisse ausschließlich aus der Perspektive der Ärztin; der Überfall der Russen auf das Nonnenkloster bleibt ausgespart. Er muss bestialisch gewesen sein. Über mehrere Tage machte die entfesselte Soldateska das Kloster zum hauseigenen Bordell. Die weltentfremdeten, meist jungfräulichen Nonnen wurden zu Soldatenmatratzen erniedrigt und systematisch von der Horde missbraucht. Viele der Nonnen fanden schon während der brutalen Vergewaltigungen den Tod. Andere steckten sich mit üblen Geschlechtskrankheiten an und siechten über Monate und Jahre dahin; und wieder andere begingen Selbstmord, direkt oder indirekt, weil sie die Demütigungen und Schmerzen nicht mehr ertragen konnten. Doch bei denen, die gesund und am Leben blieben, tat gleichmütig die Natur ihr Werk: Etliche von ihnen wurden schwanger.

Wenn je das Wort Martyrium angebracht war, dann als würdige Bezeichnung für das, was diese Frauen durchlitten haben. Doch dieses Leid ist nie öffentlich anerkannt worden. Die Nonnen, die sich während der Terrorjahre der französischen Revolution für ihren Glauben guillotinieren ließen,  wurden selig gesprochen und gefeiert; aber mit den christlichen Opfern der russischen Massenvergewaltigungen, deren Martyrium weit über den kurzen Schmerz auf dem Schafott hinausging, kann die Kirche bis heute nicht umgehen. Geschändete Frauen waren Frauen in Schande – so dachten die polnischen Bauersleute, und so dachten auch die würdigen Herren, die den Klerus repräsentierten. Die Lage der Nonnen war im höchsten Grade peinlich, egal, wer oder was sie verursacht hatte, und noch weitaus peinlicher waren die daraus resultierenden Kinder, die es gemäß der christlichen Lehre überhaupt nicht hätte geben dürfen.

Der Film beschreibt in erster Linie die Befindlichkeiten der Nonnen selbst. Natürlich sind sie mit dem, was ihnen zustößt, sowohl physisch als auch psychisch heillos überfordert. Schon die gynäkologische Untersuchung stellt die Ärztin vor Probleme, die auf Außenstehende tragikomisch wirken: Diese Schwangeren sind ihrer eigenen Weiblichkeit so entfremdet, dass sie es kaum ertragen können, wenn jemand ihren Unterleib entblößt oder gar berührt. Sie schreien, sie stoßen die Helferinnen von sich; noch im Kindbett liegen sie in voller Ordenstracht. Die Ärztin darf die Objekte ihrer Untersuchung nicht mit eigenen Augen sehen, sie muss sie unter dicken Röcken ertasten. Nie wurde die Mutterschaft Frauen auferlegt, die dafür weniger geeignet waren.

Doch was bedeuten die körperlichen Probleme im Vergleich mit den seelischen Qualen, von denen diese aufgezwungenen Schwangerschaften begleitet sind? Gewöhnt an eine schlicht geordnete Welt, an eine Existenz, die ihren Sinn im Dienst an einem göttlichen Prinzip versteht, sehen sich die Frauen durch ihren Zustand in ein absolutes geistiges Chaos geworfen, sehen alle ihre anerzogenen Normen gesprengt und sind außerstande zu begreifen, was der Gott, dem sie ihr Leben weihten, mit dieser ungeheuren Wendung bezweckt. Und zum existenziellen Sinnverlust kommt eine handfeste existenzielle Angst: Wenn man draußen erführe, was im Kloster vorgeht, müsste es geschlossen werden, denn Ordensschwestern, die Kinder gebären, sind dieser Bezeichnung nicht länger würdig. Die Oberin fleht die Ärztin an, über die Schwangerschaften Stillschweigen zu bewahren. Sie sieht sich und die Ihren ausgestoßen aus der kirchlichen Gemeinschaft, sieht die Gruppe mittellos und ohne Schutz in einer unbarmherzigen Welt, sieht sie dem Spott und der Verachtung der Bevölkerung preisgegeben – alles Befürchtungen, die zumindest unter den damaligen Verhältnissen nicht gar so abwegig gewesen sein dürften.

Nun kann man innerhalb eines Klosters Schwangerschaften ganz gut verbergen, auch zur Verheimlichung der Geburten erklärt sich die Ärztin schließlich bereit; doch wohin mit den Babys, wenn sie auf der Welt sind? Kann man sie nicht auf diskrete Weise der Obhut Gottes übergeben? Die Oberin wählt in ihrer Verzweiflung diesen mörderischen Weg: In einer wahrhaft marternden Szene trägt sie eins der Kinder weit hinaus durch eine winterlich verschneite Landschaft, legt es fürsorglich unter ein Grabkreuz, wo sie es betend der Gnade Gottes empfiehlt – und während das Baby aufwacht und erste greinende Laute von sich gibt, wendet die Frau sich ab und eilt davon, das hilflose Bündel der Kälte überlassend. Auch ein christlicher Weg, Probleme zu lösen, wenn schon Abtreibungen leider nicht in Frage kommen. Und auch hier kann man sich wohl vorstellen, dass nicht wenige der einst Betroffenen diesen Weg eingeschlagen haben, um sich selbst und ihr gewohntes Leben vor der „Schande“ zu bewahren.

Der Film dagegen endet überraschend idyllisch: Auf Anregung der Ärztin nehmen die Nonnen eine Gruppe von verwahrlosten Kindern auf, für die sie fortan sorgen werden; und in dieser Gruppe können sie unauffällig auch ihre eigenen Kinder großziehen. Der Trost und die Lösung liegen in dem einfachen, geradezu banalen Gedanken, dass aus dem durchlittenen Grauen unschuldige Kinder hervorgegangen sind, die Anspruch auf Liebe und Barmherzigkeit haben, wer immer auch ihre Väter waren. Und einigen der unfreiwilligen Mütter gelingt es, in diesen Kindern ein Glück zu sehen, ein unverhofftes Gottesgeschenk, das ihnen eine Aufgabe bietet und ihren Lebenskreis sinnvoll bereichert.

Natürlich hegen wir Zuschauer Zweifel an der Bestandskraft dieses Happy Ends. Wieder setzen die Assoziationen aus Literatur und Film ein, und was uns dabei zu dem Stichwort „Nonnen in der Kindererziehung“ einfällt, ist alles andere als idyllisch. Doch das liegt außerhalb der Filmhandlung und schmälert deren Aussage nicht. „Agnus Dei – die Unschuldigen“ ist nicht nur deshalb ein verdienstvoller Film, weil er ein breites Publikum mit einem verborgenen Kapitel der Geschichte und der Kirchengeschichte konfrontiert. Er zeigt letztendlich auch die Kraft des Lebens, das über starre Konventionen genauso triumphiert wie über die Verheerungen des Krieges.

 

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