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Der englische Spielfilm "Black Narcissus" aus dem Jahre 1947 erzählt eine abwegige Geschichte: von einer Gruppe Nonnen, die am Himalaya eine Mission errichten - bis eine von ihnen sich verliebt und darüber dem Wahnsinn verfällt...
Eines der Highlights auf der Berlinale 2015 war die Technicolor-Retrospektive, die ein Wiedersehen mit vielen schönen alten Farbfilmen verhieß. Ich wählte „Black Narcissus“, einen englischen Film von 1947, den ich Jahrzehnte lang nicht mehr gesehen hatte. Die vielgerühmten Technicolor-Effekte auf der großen Kinoleinwand ließen mich kalt; ich begreife gar nicht, dass man sich einen Film um solcher Effekte willen ansehen kann. Mir hätte es vollauf genügt, das Werk, an das ich aus meiner Jugend eine lebhafte Erinnerung bewahrte, am heimischen Fernsehgerät zu sehen. Leider werden solche edlen alten Perlen von Fernsehprogrammgestaltern kaum mehr entdeckt. Die Klassikpflege des deutschen Fernsehens ist auf ein sehr dürftiges und einfallsloses Repertoire beschränkt.
„Black Narcissus“ entstand nach einem Roman der britisch-indischen Autorin Rumer Goddon. Er handelt von einer Gruppe katholischer Nonnen, die an einem abgelegenen Ort hoch in den Bergen des Himalaya eine Ordensmission errichten will. Schwungvoll nehmen die Frauen ihre Aufgabe in Angriff, legen Gärten an, begründen eine Schule, versorgen die Kranken mit Medizin. Ihr Kloster liegt auf der Höhe eines Berges, mit herrlicher Aussicht, doch direkt am Abgrund; und die Nonnen spüren allmählich, wie sie dem Schwindel erregenden Zauber dieses völlig isolierten, wie verwunschenen Ortes verfallen. Schritt für Schritt entrücken sie den Regeln der Zivilisation, sie vergessen die Lebensform, für die sie sich entschieden haben, und sie verlieben sich: die eine in ihren Garten, die zweite in die einheimischen Kinder, die dritte aber in einen Mann, und damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf… Eine absonderliche, fast krude Story, doch sie wird so intelligent unterhaltsam, so leicht und selbstverständlich erzählt, dass sie ungeachtet aller Klischees einen altmodischen Lesegenuss bereitet.
„Schwarzer Narziss“ heißt korrekt und treffend die deutsche Buchausgabe von 1986, während der deutsche Verleih die Verfilmung ebenso gedankenlos wie bezugsfrei „Die schwarze Narzisse“ betitelt hat. Allerdings spielt der Titel gebende Schwarze Narziss der Romanvorlage – ein junger indischer General, der partout von den Nonnen die westliche Lebensart erlernen will – im Film nur eine untergeordnete Rolle. Dort konzentriert sich die Geschichte ganz auf das eigenartige Dreiecksverhältnis zwischen der Oberin Schwester Clodagh, dem englischen Verwalter Mr. Dean und der zunehmend gestörten Schwester Ruth. Das ist auch in der Tat der interessanteste Erzählstrang, und hier gelingen den Filmschöpfern Szenen, die an Dramatik, Atmosphäre und Intensität die Buchvorlage weit übertreffen.
„Black Narcissus“ ist ein früher Autorenfilm: Das Erfolgsduo Michael Powell/Emeric Pressburger, dem das britische Kino Klassiker wie „Peeping Tom“ oder „Die roten Schuhe“ verdankt, hat den Film produziert und gedreht. Die beiden waren ihre eigenen Scriptschreiber, ihre eigenen Cutter und Dramaturgen; und die schöne Verbindung von Bild und Dialog, von Farbdramaturgie und Schnitt, von Inhalt und Stilmitteln beweist bis heute, wie effektiv die beiden gearbeitet haben. Auch die Besetzung ist hochkarätig: Zwar wirkt der männliche Hauptdarsteller David Farrar, der den attraktiven Mr. Dean spielt, aus heutiger Sicht etwas penetrant in seiner naturburschenhaften Erotik. Gern erscheint er vor den Nonnen in kurzen Hosen oder gar mit freiem Oberkörper – Auftritte, die das Berlinale-Publikum mit Schenkelschlagen und Gelächter quittierte. Bei den Damen jedoch gibt es nichts zu kritteln. Deborah Kerr ist schon vom Typ her eine vorzügliche Schwester Clodagh: distanziert, fast etwas gouvernantenhaft, doch zugleich auch eine suchende, heimlich zweifelnde, ihrer selbst nie ganz sichere Frau. Die Rolle wurde ihr Sprungbrett nach Hollywood, wo sie später in ungezählten Rollen die britisch unterkühlte Dame gab. Auch die junge Jean Simmons, die in einer Nebenrolle als verführerische Kantschi agiert, verdankt diesem Film ihre Hollywood-Karriere.
Doch die eigentliche Starrolle in „Black Narcissus“ spielt eine vergleichsweise Unbekannte: Kathleen Byron als durchgeknallte Schwester Ruth. Ihrem Wahnsinn fallen die eindrucksvollsten Momentaufnahmen des Filmes zu. Wenn sie der nichts ahnenden Oberin plötzlich im roten Abendkleid erscheint, ist das ein Schockeffekt, wie er den reißerischsten Horrorfilmen nur selten gelingt; und wenn sie sich in der Szene mit Mr. Dean zu einem hysterischen Ausbruch steigert, wechselt unverhofft der Film in die subjektive Perspektive, das Bild beginnt zu bröseln wie bei einem Filmriss und scheint in einer abrupten Schwarzblende ebenso zu kollabieren wie die unglückliche Protagonistin. Viel gerühmt wird auch die „Lippenstift-Szene“ zwischen Schwester Ruth und Schwester Clodagh: Die beiden Frauen sitzen einander gegenüber, und die nunmehr abtrünnige Schwester Ruth zückt genüsslich Lippenstift und Spiegel, um sich in ausgedehnter Großaufnahme den Mund feuerrot anzumalen. Es sei, heißt es in einer Kritik, als würde der Lippenstift die Frau in einen Werwolf verwandeln.
Ich weiß nicht, ob „Black Narcissus“ ein bedeutender Film ist. Allzu stark haftet ihm der Geist einer Zeit an, die nicht mehr die unsere ist. Aber sicher ist, er hat bedeutende Momente, die auch nach Jahrzehnten nichts von ihrer Kraft verloren haben und um deretwillen man ihn lieben muss. Ich war jedenfalls nicht enttäuscht, als ich den Film jüngst auf der Berlinale wiedersah, und wenn mir auch die Technicolor-Aufbereitung nichts bedeutet, so bin ich ihr doch dankbar, dass sie mir Gelegenheit zu diesem Wiedersehen gegeben hat.
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