Grigori RasputinGrigori Rasputin, den Boney M in ihrer bekannten Ballade besingen, war schon zu Lebzeiten eine Legende und nach seinem gewaltsamen Tod erst recht. Doch wenn auch die meisten Gerüchte über ihn falsch oder maßlos übertrieben sind, so bleibt doch die die Geschichte eines außergewöhnlichen Lebens, das bis heute fasziniert. 

„Ra-ra-rasputin, lover of the Russian Queen…“ Schon falsch! Nach einhelliger Meinung der Historiker ist Rasputin sicherlich nicht der Liebhaber der russischen Zarin gewesen, auch nicht „Russias greatest love machine“. Zwar war er der Fleischeslust sehr zugeneigt, doch es trifft nicht zu, dass er alles flachlegte, was nicht bei Drei auf dem Baum war. Rasputins Eroberungen beschränkten sich auf Prostituierte, Bedienstete oder Bittstellerinnen, die seine angeblichen Heilerkräfte nutzen wollten – kurzum, auf seine eigene Sphäre.

Die Damen der Petersburger Gesellschaft rührte er nicht an, schon gar nicht die weiblichen Mitglieder der Zarenfamilie. Er war auch nicht Russlands heimlicher Herrscher, wie uns der Text von Boney M verkündet. Aber er ist für die Zarenherrschaft in Russland, ohne es zu wollen, einer der markantesten Sargnägel geworden.

Grigori Rasputin, Jahrgang 1869, zog als Wanderprediger durch das russische Land, verkündete göttliche Visionen und betätigte sich als Heiler. Als er 1903 nach Petersburg kam, eilte ihm schon ein entsprechender Ruf voraus; und tatsächlich muss ihm in seinen besseren Momenten eine wirklich charismatische Ausstrahlung eigen gewesen sein. „In his eyes a flaming glow“ dürfte jedenfalls stimmen. Auch war der Mann keineswegs dumm und bewies namentlich in seinen politischen Urteilen oft eine seltsame Treffsicherheit.

Sein eigentlicher Aufstieg begann, als ihn die Zarin an das Krankenbett ihres Sohnes rief, der an der Bluterkrankheit litt und dem Tode nah war. Nach Rasputins Erscheinen ging es ihm besser, und die Zarin sah ihn fortan als gottgesandten Wunderheiler an. Da die Krankheit des Zarensohnes vor dem Volk geheim gehalten wurde, verstand kein Mensch, wieso dieser Waldschrat mit dem zottigen Bart und den bäuerisch-ungehobelten Manieren am Zarenhof ein- und ausgehen durfte, und so brodelte von Anfang an die Petersburger Gerüchteküche. Rasputins Benehmen tat ein Übriges, um die Gesellschaft zu schockieren: Saufgelage, Raufereien, Zudringlichkeiten gegen Frauen – dieser Mann ließ nichts aus, was Skandal erregte. Doch der Zar und die Zarin blieben gegen alle Beschwerden taub und waren eher bereit, hohe Adelige und Kirchenfürsten in die Wüste zu schicken als von ihrem Wunderheiler zu lassen. Vielleicht war diese Langmut der eigentliche Skandal am Petersburger Hof. Durch nichts haben die Romanows soviel Ansehen und Vertrauen verspielt wie durch ihre Haltung zu Rasputin, dem bestgehassten Mann am Hof.

Der Mordanschlag, dem er im Dezember 1916 zum Opfer fiel, war nicht der erste seiner Art, doch diesmal wollten die Verschwörer, allesamt hochrangige Petersburger Honoratioren, ganz sichergehen, dass Rasputin, dem mittlerweile schier dämonische Kräfte zugesprochen wurden, ihn auf keinen Fall überlebte. Gift, Schusswaffen und Ertränken in der Newa sollen angeblich zusammengekommen sein, um Rasputins Leben zu beenden. So wird es jedenfalls in vielen Darstellungen kolportiert, natürlich auch in unserem Boney M. Song, doch die historischen Fakten sehen auch in diesem Punkt ganz anders aus. Tatsächlich hat die Obduktion ergeben, dass Rasputin nicht vergiftet, wohl aber misshandelt und gefoltert wurde. Die Mörder machten kein Hehl aus ihrer Tat, doch der Zar wagte nicht, gegen sie vorzugehen. Auf diese Weise verspielte er auch noch den letzten Rest Prestige, der ihm geblieben war. Ein Vierteljahr später wurde er von seinen Gegnern zur Abdankung gezwungen. Die Familie Romanow überlebte Rasputin nur um anderthalb Jahre. Sämtliche Familienmitglieder wurden von den Bolschewiki liquidiert, auch der kleine kranke Junge, dem Rasputin seinen Ruhm verdankte.

Der Aufstieg und Fall Rasputins aber war zu einer russischen Legende geworden, und wenn sich diese Legende auch hauptsächlich aus aufgebauschten Gerüchten, Übertreibungen und Lügen speiste, lässt sich doch nicht leugnen, dass Rasputins Geschichte ein außergewöhnliches Format hat. Sie wurde durch die Zeiten immer weitergetragen, in Filmen, Büchern und balladesken Songs wie dem von Boney M, der mit der Wahrheit zwar nicht viel zu tun hat, aber nichtsdestotrotz immer wieder gern gehört wird: "Ra-ra-rasputin, lover of the Russian Queen…" Nein, das ist er nicht gewesen. Aber gönnen wir ihm doch den schönen schlechten Ruf. Und stimmen wir am Schluss aus Herzensgrund mit ein in den Stoßseufzer: "Oh, those Russians!"

Boney M: Rasputin (1978)

 

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