Wenn Sie von der Bußgeldstelle einen Kostenbescheid gem. § 25 a STVG bekommen, haben Sie kaum eine Chance, dagegen vorzugehen, denn die Amtsgerichte sehen sie pauschal als gerechtfertigt an, auch wenn die Voraussetzungen dieses Paragraphen gar nicht erfüllt sind. Ich zog deshalb vor den Verfassungsgerichtshof - vergeblich, wie man hier nachlesen kann.

Ein Kostenbescheid seitens der Bußgeldstelle sollte laut Gesetz immer dann ergehen, wenn ein Verkehrsdelikt zwar jenseits der Verfolgungsverjährung liegt, doch „der Fahrzeugführer nicht vor Eintritt der Verjährung ermittelt werden kann“ oder „die Ermittlung des Fahrzeugführers einen unangemessenen Aufwand erfordert“. So steht es geschrieben in § 25 a des Straßenverkehrsgesetzes (STVG).

Die Praxis sieht leider anders aus: Findet sich in der Bußgeldstelle beim Ausmisten ein Bußgeldbescheid an, dessen Verfolgung bereits verjährt ist, so lässt sich daraus trotzdem noch Kapital schlagen.

Die Bußgeldstelle braucht sich nicht darum zu scheren, ob der Fahrzeugführer mit oder ohne Aufwand ermittelt werden kann. Sie stellt einfach einen Kostenbescheid aus, der den Verkehrssünder unter Berufung auf § 25 a STVG verpflichtet, ein pauschales Strafgeld in Höhe von 18,50 € zu entrichten (15 € für den Verstoß, 3,50 € für Bearbeitungsgebühren), und schon wird ungeachtet der Verjährung doch noch Geld in die Kassen gespült. Hält der Betroffene das Spielchen für unfair, so kann er zwar beim zuständigen Amtsgericht Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen, aber das wird ihm nicht viel nützen, denn das Amtsgericht schert sich ebenfalls nicht um die Ermittelbarkeit des Fahrzeugführers und um den Wortsinn des § 25 a STVG. Jeder Antrag wird pauschal mit der Begründung abgeschmettert, der Beweis der Zustellung gelte dadurch als erbracht, dass der fragliche Bußgeldbescheid nicht als unzustellbar zurückgekommen sei.

Eine Bordsteinkante wie diese wurde mir zum Stolperstein.

So wurde auch in meinem Fall verfahren: Im Jahre 2012 warf man mir mit monatelanger Verspätung „Parken vor einer abgesenkten Bordsteinkante“ vor. Ich konnte mich weder daran erinnern, noch sah ich ein, dass die Anwendung des § 25 a STVG berechtigt war. In meinem Fall war die „Ermittlung des Fahrzeugführers“ sogar eine besonders leichte Übung, da ich seit mehr als zwanzig Jahren unter derselben Adresse wohne. Doch auch mir ging es wie allen anderen: Mein Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde vom zuständigen Amtgericht Berlin-Tiergarten abgewiesen.

Um diese Zeit entdeckte ich zufällig beim Surfen im Internet ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs Berlin, das in einem gleich gelegenen Fall entschieden hatte, dass der „erforderliche Nachweis“ der Zustellung nicht erbracht sei, wenn der Anhörungsbogen „nicht als unzustellbar zurückkam“, und dass „keine Vermutung für den Zugang formlos mit der Post übersandter Schreiben“ bestehe (VerfGH 97/09 v. 15.04.2011). Ich schrieb also an den Verfassungsgerichtshof, wies auf das Vorgehen in meinem Fall hin und bat um eine Erklärung: War dieses höchstrichterliche Urteil dem Amtgericht Tiergarten nicht bekannt? Oder wurde es in der Rechtspraxis bewusst übergangen?

Ich erhielt auf meinen Brief (wohlweislich?) keine schriftliche Antwort, dafür aber den überraschenden Anruf eines Herrn. Er stellte sich als Geschäftsleiter des Verfassungsgerichtshofes vor und bedeutete mir, dass man dort schon lange mit Unmut die Praxis beim Umgang mit den Kostenbescheiden im Verkehrsrecht verfolge, aber nicht dagegen vorgehen könne, solange nicht ein Bürger in einem konkreten Fall Klage erhebe. Ich möge also, wenn ich wirklich etwas gegen diese Praxis tun wolle, mein eigenes Verfahren vor den Verfassungsgerichtshof Berlin bringen.

Das war krass: Wegen Falschparkens an einer abgesenkten Bordsteinkante sollte ich vor den Verfassungsgerichtshof ziehen? Aber andererseits, ging es hier um das Falschparken? Ging es nicht um eine verwerfliche Rechtspraxis, der man einen Riegel vorschieben musste? Aus heutiger Sicht ist mir natürlich klar, dass mich der Mann wohl nur abwimmeln wollte. Doch damals nahm ich sein Statement ernst, und mich reizte die Aussicht, diejenige zu sein, die den ungerechtfertigten Kostenbescheiden ein Ende setzte. So viele Leute zahlten und ärgerten sich und hofften, dass jemand anders etwas für die Beseitigung des Missstandes tat. Ich aber würde die Initiative ergreifen, eine Bürgerin, die tatsächlich Demokratie von unten wagte und kraft ihres Handelns die Gesetzeslage zu ändern suchte!

Ich reichte Klage beim Verfassungsgerichtshof ein. Ein Jahr lang tat sich überhaupt nichts, dann erhielt ich einen Brief, ein umständlich verklausuliertes Schreiben, in dem die zuständige Richterin mich wissen ließ, dass man derzeit die Zulässigkeit meiner Klage prüfe und erhebliche Zweifel an derselben hege, denn erstens und zweitens und drittens und überhaupt… Ich erwartete nun, dass man meine Klage für unzulässig erklären werde, doch das Gericht ging einen anderen Weg: Ende 2013 wurde die Klage abgeschmettert, in einem knappen, äußerst verächtlichen Schreiben, das sich nicht einmal die Mühe einer Urteilsbegründung  nahm. Das Hohe Gericht ließ keinen Zweifel daran, dass es mich für eine dumme kleine Wichtigtuerin und mein Anliegen für absolut nichtig hielt.

Zuerst war ich gekränkt, doch dann musste ich mir sagen, dass ich diese Lektion verdiente. Wie hatte ich nur glauben können, dass es einer ganz gewöhnlichen Bürgerin gelingen könnte, eine ungerechte Regelung zu kippen! Wie hatte ich nur auf dieses blödsinnige Demokratiespielchen hereinfallen können! Lebte ich nicht lange genug in diesem Staat, um von sämtlichen Illusionen über „Demokratie von unten“ geheilt zu sein? Wie naiv hatte ich mich aufs Kreuz legen lassen!

Die Kostenbescheide können also weiterhin beliebig an Jedermann verschickt werden, unter Berufung auf einen Paragraphen, dessen Wortlaut der Praxis Hohn spricht. Es war idiotisch, je etwas anderes zu hoffen. Ich weiß nicht, wie ein Bürger auftreten muss, um vom Verfassungsgerichtshof ernst genommen zu werden. Mir ist es jedenfalls nicht gelungen.

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