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Georg Luxi besaß Millionen, doch als er an Demenz erkrankte, wurde er zum Sozialhilfeempfänger: Erbschleicher brachten ihn um sein Vermögen. Ein Bericht über ein grassierendes Phänomen in einer überalterten Gesellschaft.
Erbschleicherei. Es kann jeden alten, alleinstehenden Menschen treffen, sofern sein Vermögen groß genug ist, um diese besonders perfide Sorte von Betrügern anzuziehen. Oft bringt der Zufall sie hervor, eine ihnen günstige Konstellation im Verwandten- oder Bekanntenkreis; doch mittlerweile gibt es regelrechte kriminelle Klüngel, die eigens in dieser Richtung spezialisiert und mit allen juristischen Finessen vertraut sind.
Ihre Zielgruppe sind einsame alte Menschen, deren Geisteskräfte nachzulassen beginnen, vielleicht schon nachgelassen haben – eine riesige Zielgruppe, besonders in Deutschland, wo die Gesellschaft überaltert ist und jährlich Tausende an Demenz erkranken. Meist ist es eine Bezugsperson, die sich in das Leben der Betroffenen einschleicht – eine Haushaltshilfe oder Pflegerin etwa, die sich zur „Lebensgefährtin“ aufschwingt, ein „Berater“, der nach und nach die Kontrolle über die Finanzgeschäfte übernimmt. Das ist der erste Schritt: Man stellt zum Opfer ein Vertrauensverhältnis her, idealerweise gar eine Abhängigkeit.
Damit einher geht die Isolierung der betroffenen Person, gleichfalls ein schleichender Prozess. Je flüchtiger die familiären und sozialen Kontakte des potenziellen Erblassers sind, desto besser funktioniert, was die Erbschleicher planen. Wenn die Kinder des Betroffenen weit fort in anderen Städten oder Ländern wohnen, wenn die Nachbarn zu beschäftigt sind, um mit dem alten Herrn nebenan ein paar Worte zu reden, wenn es zwischen alten Freunden zum Streit kommt, dann sind die Erbschleicher in ihrem Element; und so tun sie alles, um ihre Opfer so hermetisch wie nur möglich von der Außenwelt abzuschotten. Ruft der Sohn an, so hat er plötzlich nicht mehr den Vater, sondern dessen neue Lebensgefährtin am Hörer: Der Papa ist jetzt nicht zu sprechen, nein, der macht sein Nickerchen. Kommt die Freundin zum wöchentlichen Kaffeekränzchen, wird sie an der Türschwelle abgewimmelt: Nein, leider, heute besser kein Besuch, der Frau Müller geht’s gerade nicht so gut. Und wenn dann niemand mehr anruft und niemand mehr kommt, gibt man dem Betroffenen das Gefühl, von allen Menschen verlassen und ganz auf die Fürsorge des Erbschleichers angewiesen zu sein.
Oft dient die Isolation auch dazu, eine beginnende Demenz vor der Welt zu verbergen. Es ist schwer und heikel, eine Demenz im Frühstadium sicher nachzuweisen, und es ist schier unmöglich aus einem längeren zeitlichen Abstand heraus. Genau das macht der Erbschleicher sich zunutze, wohl wissend, dass er nur dann von der Geistesschwäche seiner Opfer profitieren kann, wenn niemand außer ihm diese erkennt. Der potenzielle Erblasser muss, wenn er den Gang zum Notar antritt, den Eindruck erwecken, er befinde sich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte.
Nun ist ein Notar relativ leicht zu hintergehen. Er hat den Mandanten, der Haus und Vermögen seiner Lebensgefährtin überschreiben will, zuvor noch nie gesehen und ist nicht verpflichtet, seinen Geisteszustand eingehend zu prüfen. Später wird er sogar als Zeuge für den Erbschleicher brauchbar sein, denn wer gibt schon gerne zu, dass er einem Dementen die volle Geschäftsfähigkeit bescheinigt und sich so zum unfreiwilligen Komplizen eines Betruges gemacht hat? Doch nicht nur den Notar, alle Welt gilt es zu täuschen. Wenn nach dem Eintritt des Erbfalls etwa Kinder oder Enkel auf die Idee kommen, die Verfügung anzufechten, so ist es für den Erbschleicher äußerst wichtig, dass keine Menschenseele die beginnende Demenz des Erblassers bezeugen kann.
Ein besonders krasser Fall von Erbschleicherei hat jüngst für Schlagzeilen gesorgt: Georg Luxi, Millionär aus Deppendorf, hatte seiner Lebensgefährtin Maria S. und deren Sohn Georg S. eine Generalvollmacht für seine Finanzgeschäfte ausgestellt, worauf die beiden das gesamte Vermögen des alten Herrn sukzessive an sich brachten, Bargeld, Immobilien, alles. Als Luxis Töchter die Gerichte einschalteten und eine Untersuchung verlangten, war Georg Luxi plötzlich spurlos verschwunden – abgetaucht, wie Georg und Maria S. erklärten, um sich der „Habgier“ seiner Töchter zu entziehen. Erst zwei Jahre später stellte sich heraus, wohin die beiden ihren Goldesel gebracht hatten: in ein tschechisches Obdachlosenasyl, wo der inzwischen schwer demente Mann von Maria S. unter falschem Namen eingetragen und versteckt worden war. Wie das Hotelpersonal verlauten ließ, hatte er dort wie ein Bettler gehaust und zuletzt nicht einmal mehr warmes Essen bekommen. Einmal sei er aus seinem Zimmer entkommen und auf allen Vieren über den Flur gekrochen. Offensichtlich war die Absicht, ihn sterben zu lassen, aber die ging nicht ganz auf. Zwar brach Luxi eines Tages nach einem Schlaganfall bewusstlos zusammen, doch als Maria S. ihn daraufhin im Taxi außer Landes schaffen wollte, spielten die Taxifahrer nicht mit, und das Hotelpersonal alarmierte den Notarzt. Unterernährt, verwahrlost und von Sturzverletzungen gezeichnet traf der einstige Millionär im Krankenhaus ein; doch selbst jetzt noch bemühte sich Maria S., eine medizinische Behandlung zu verhindern, indem sie erklärte, sie sei nicht seine Ehefrau und werde sich an keinerlei Zahlungen beteiligen.
Georg Luxi hat sein Martyrium nicht lange überlebt. Die letzten Lebenswochen verbrachte er als Sozialhilfeempfänger in Bayern, denn ihm war nichts mehr geblieben, wovon er seine Versorgung hätte bezahlen können. Nicht einmal seine Wohnung gehörte ihm mehr. Georg und Maria S. indessen wurden nie für das bestraft, was sie ihm angetan hatten. Ein Verfahren, das Luxis Töchter anstrengen wollten, wurde von der bayerischen Staatsanwaltschaft eingestellt: Weder die Vermögenserschleichung noch die Freiheitsberaubung seien hinreichend beweisbar. Und so dürfen sich Sohn wie Mutter S. bis heute ungehindert der Millionen ihres Opfers freuen.
In diesem speziellen Fall mag es verwundern und auch beängstigen, dass der Staat selbst bei derart eindeutiger Beweislage nicht imstande ist, seine Bürger vor der Erbschleicherei zu schützen – immerhin kann der Staatsanwalt, der das Verfahren eingestellt hat, schon in wenigen Jahren Luxis Schicksal teilen. Doch nicht immer liegen die Dinge so klar. Im Allgemeinen ist es tatsächlich schwierig, juristisch gegen Erbschleicher vorzugehen; und es werden häufig auch solche Menschen für Erbschleicher gehalten, die gar keine sind. Wenn etwa eine Lebensgefährtin ihren kranken Partner aufopfernd pflegt, während sich seine Kinder überhaupt nicht um ihn kümmern, hat sie dann nicht das Erbe verdient? Und ist es nicht fair, wenn ein alleinstehender Mann sein Haus dem besten Freund hinterlässt und nicht dem Neffen dritten Grades, den er kaum kennt, der aber der Nächste in der gesetzlich festgelegten Erbfolge wäre? In solchen Fällen scheint der Vorwurf der Erbschleicherei eher auf die sogenannten legitimen Erben zurückzufallen.
Die Wahrheit liegt meist irgendwo zwischen den Extremen und ist juristisch mitunter kaum fassbar. Eines aber ist gewiss: Professionelle Erbschleicher können nur dort andocken, wo die soziale Gebundenheit eines Menschen bröcklig wird. Hier sind die Kinder, die Freunde, die Nachbarn gefordert: Wenn sie die Augen offen halten, wenn sie ihre vereinsamten und kranken Mitmenschen nicht aus der Gemeinschaft fallen lassen, hat der Erbschleicher keine Chance.
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