Frohes Bordleben: Äquatortaufe auf einem KreuzfahrtschiffKreuzfahrten gelten als uncooler Rentnerurlaub; auch die Kreuzfahrtwerbung stellt auf Rentner ab. Andererseits kursieren die tollsten Geschichten über das wüste Sex-Leben an Bord. Ja, was denn nun? Ist die Kreuzfahrt eine Urlaubsform für hinfällige Rentner, die zum Aktivurlaub nicht mehr in der Lage sind, oder ist sie was für Partylöwen?

 

Zwei Vorurteile haften der Kreuzfahrt an:

  • Kreuzfahrtschiffe sind Rentnerdomänen für Hochbetagte und Gebrechliche, die zu keiner anderen Form des Urlaubs mehr imstande sind.
  • Kreuzfahrtschiffe sind schwimmende Bumsparadiese, wo eine Party nach der anderen steigt und wo es jeder mit jedem treibt.

Das erste Vorurteil wird schon von den Kreuzfahrtreedereien selbst bedient: Senioren sind eine zahlungskräftige Kundschaft und geben eine prachtvolle Zielgruppe für die Kreuzfahrtwerbung ab. Also bietet man Dialyse an Bord, behindertengerechte Zugänge und ein Kulturprogramm, das überwiegend auf ältere Semester abgestellt ist. Nirgends hört man auf den Karaoke-Abenden so viele alte Herren gefühlvoll „My Way“ singen, wie überhaupt nur selten ein Lied ertönt, das nicht mindestens dreißig, vierzig Jahre auf dem Buckel hat. Ja, es gibt Bingo-Nachmittage, es gibt Kurse im Serviettenfalten, und es gibt, wie einst zuzeiten der Titanic, große Galadiners, zu denen man sich in Abendgarderobe werfen muss.

Andererseits stimmt es einfach nicht, dass die Kreuzfahrt eine beschauliche, passiv-bequeme Urlaubsform für hinfällige alte Menschen ist. Im Gegenteil: Nur wer halbwegs fit ist, kann die vielfältigen Vorzüge einer solchen Schiffsreise richtig auskosten; und wer dazu aus Altersgründen nicht mehr in der Lage ist, kann einem eigentlich nur leid tun. Der Kreuzfahrer sollte idealerweise eine Bombenkondition besitzen, damit er auf den Landgängen lange Fußmärsche oder anstrengende Ausflüge zu absolvieren imstande ist. Er sollte Langflüge und Klimaschwankungen vertragen, damit er als Weltreisender nicht schlappmacht. Er sollte möglichst wenig Schlaf benötigen, damit er sich nach einem langen Tag in der Seeluft auch noch des Nachtlebens freuen kann. Und er sollte einen Magen haben wie ein Pferd, damit er vom Pool Barbecue bis zum Mitternachtsbuffet die reichlich dargebotenen Essgenüsse verträgt.

Damit nähern wir uns dem Thema Partyleben und dem Vorurteil Nummer Zwei: Was ist dran an den Geschichten von den schnellen Nummern in den Barnischen, von den Schiffsoffizieren, die Passagierinnen vernaschen, vom Bäumchen-wechsel-dich in den Kabinen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich habe erlebt, dass sich junge Leute, die auf Kreuzfahrtschiffen aus den genannten Gründen stets in der Minderheit sind, höchst unwohl fühlten unter all den angejahrten Mittelstandspaaren. Doch das Partyalter ist nicht auf die Jugend beschränkt, und wie im Ballermann bricht sich auch auf Kreuzfahrtschiffen leicht jene Art Lebensfreude Bahn, die für viele nun mal zum Urlaub gehört. Der Alltag ist weit weg, das Geld sitzt locker, der Alkohol fließt, die Sau will raus.

In dieser Spannung zwischen Ballermann-Frohsinn und altmodischer Feine-Leute-Reise, zwischen Aktivurlaub und Rentnerclub, zwischen Party an Bord und Dialyse an Bord bewegt sich jedes moderne Kreuzfahrtunternehmen. Für den Reisenden ist das natürlich verwirrend, oft auch unbefriedigend, und doch hat es entschieden seine schrägen Reize. Ich selbst liebe Kreuzfahrten über alles, und das, obwohl ich aus dem Partyalter raus und noch nicht im Dialysealter drin bin. Ich liebe sogar noch die Galadiners und die alten Herren, die „My Way“ singen; und trotzdem entwerfe ich, sobald ich an Bord bin, in einem fort Modernisierungs- und Verbesserungskonzepte für Kreuzfahrtunternehmen. Freies Internet an Bord! Ein modernes Ernährungsprogramm! Ein Jugendschiff mit lauter angesagten Bands! Überhaupt viel mehr thematische Schwerpunkte, sowohl in den Routen als auch im Programm! Schon in der jetzigen Form ist die Kreuzfahrt eine wunderbar ergiebige Urlaubsform. Was könnte man nicht aus ihr machen, wenn man sie vom Ballast überkommener Klischees und Vorurteile befreien würde.

 

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