Johor BahruVon Singapore ist es kein weiter Weg in die malaysische Grenzstadt Johor Bahru. Das hatten wir jedenfalls gedacht. Doch wir hatten nicht mit der Grenze gerechnet - einer Grenze ganz wie im Kalten Krieg. 

Bei der Vorbereitung unserer Singapore-Reise gab es Probleme mit der Hotelbuchung: Das Preisniveau war dermaßen hoch, dass man selbst in den untersten Kategorien kein befriedigendes Angebot fand: Hier war das Zimmer winzig klein, dort fehlte es an einer Klimaanlage, oder das Fenster ging direkt auf eine Mauer. Ratlos stocherten wir im Netz und tauschten düstere Kommentare aus:

Hier wäre eins, das kostet nur…

Aber das ist ein Stundenhotel.

Na und, dann kriegen wir vielleicht aus den Nebenzimmern was Interessantes zu hören.

Um Gottes Willen, nein, ich will kein Stundenhotel…

In dieser Situation kam mir eines Tages eine genial scheinende Idee: Warum nicht in Malaysia buchen, in der Grenzstadt Johor Bahru, die nur einen Brückenschlag von Singapore entfernt lag? Dort waren die Hotelpreise erfreulich niedrig; ein Fünfsternehotel mit allem Komfort kostete weniger als eine düstere Rotlichtabsteige in Singapore. Ohnehin wollten wir während unseres Singapore-Aufenthaltes einen Tag in Malaysia verbringen; ich hatte recherchiert, dass zwischen den beiden Staaten reger Grenzverkehr herrschte und dass im Zehnminutentakt Busse über den Causeway nach Malaysia fuhren. Wäre das nicht die Lösung für unser Problem? Ich begann, in diese Richtung zu recherchieren, und jetzt hörten sich unsere Dialoge so an:

Hier ist eins, das hat auch fünf Sterne, allerdings keinen Pool auf dem Dach.

Nein, ich will auf jeden Fall eins mit Pool!

Am Ende konnten wir dem Luxus nicht widerstehen und buchten ein Hotel in Johor Bahru.

Komplikationslos verlief unser Flug – fast pünktlich langten wir in Singapore an. Doch jetzt begann ein Horrortrip, wie ihn kein Alptraum hätte vorhersehen können. Allein schon das Durchfragen auf dem Flughafen kostete uns mehr als eine Stunde Zeit. Zwar gab es einen Bus, der direkt vom Flughafen nach Johor Bahru fahren sollte, doch wann er kam, stand in den Sternen. Schließlich entschieden wir uns zähneknirschend für ein Taxi; doch als wir nach längerem Anstehen in der Taxischlange dem Fahrer das Ziel nannten, erklärte uns der Mann überraschend, er dürfe nicht nach Malaysia fahren, was wir zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht verstanden. Immerhin brachte uns das Taxi bis zur Busstation Queen Street, die uns als Startpunkt für die Busse nach JB – so hieß die malaysische Grenzstadt hier – deklariert worden war. Wieder mussten wir eine Zeitlang Schlange stehen, wieder Koffer schieben und hochzerren, doch dann saßen wir in einem Bus, der uns direkt ans Ziel trug – so glaubten wir.

Natürlich hatte ich im Internet gelesen, dass an der malaysischen Grenze sämtliche Koffer aus dem Bus geholt und der Grenzkontrolle vorgezeigt werden mussten, doch ich hatte mir das mehr als eine Formalität vorgestellt, einen kurzen Zwischenstopp, bevor die Busfahrt weiterging. Jetzt erlebten wir die üble Realität: Die Koffer mussten nicht nur aus dem Bus geholt, sondern über lange Treppen und Gänge zur Ausreisehalle befördert werden; und der Anblick dieser Ausreisehalle ließ unsere Kinnladen herunterklappen. Es war die Zeit kurz vor dem Jahreswechsel, und es war überdies noch rush hour, so dass der Grenzverkehr zwischen Singapore und JB eine besondere Dichte aufwies. Hunderte von Menschen, darunter nicht wenige mit großem Gepäck, standen dichtgedrängt in langen Warteschlangen vor den Schaltern; und die Grenzbeamten winkten niemanden durch, sie prüften gründlich jeden Einzelnen, blätterten in Pässen, stellten Fragen und knallten Stempel auf Dokumente. Volle anderthalb Stunden verbrachten wir wartend in der Ausreisehalle, zwischen drängelnden Reisenden und greinenden Kindern, zentimeterweise mit den Koffern vorwärts rückend, geleitet von dumpfen Stempelschlägen. Wir waren erschöpft und übernächtigt von dem gerade erst überstandenen Langstreckenflug; doch was war diese Müdigkeit gegen das niederschmetternde Bewusstsein, dass wir diese Prozedur in den nächsten Tagen wieder und wieder würden durchmachen müssen! In dieser Phase schien der ganze Urlaub verdorben.

Endlich, endlich kam der Moment, da die Stempelschläge der Beamten unseren eigenen Pässen galten. Wieder atmeten wir auf in der Annahme, uns dem Ziel unserer Leiden zu nähern – und wieder sahen wir uns grausam getäuscht. Wir konnten nicht mit irgendeinem Bus weiterfahren, sondern mussten der Bustickets wegen genau dieselbe Linie nehmen, die uns bis zur Grenze getragen hatte, was erneut zu Konfusion und Wartezeit führte; und als wir endlich unsere Koffer in den richtigen Bus gehievt hatten, trug er uns keineswegs zum Hotel, sondern zu einem Gebäude namens „JB Central“ – das war für alle die Endstation. Es erwies sich, dass wir zwar aus Singapore ausgereist, aber noch längst nicht in Malaysia eingereist waren. Uns erwartete eine Einreisehalle mit Menschenschlangen, die nicht viel kürzer waren als diejenigen in der Ausreisehalle. Und uns erwartete nach der Singaporischen eine malaysische Grenzkontrolle, die womöglich sogar noch gründlicher war. Da wurden Fingerabdrücke genommen und Koffer durchleuchtet, als gelte es, Heerscharen von Spionen abzuwehren. Nicht einmal zuzeiten der DDR – und als Ossi weiß ich, was ich hier schreibe – hatte man derart gründlich kontrolliert. Es war unfassbar, dass solche Kontrollen zwischen zwei Nachbarländern bestanden, deren Bürger Tag für Tag zu Tausenden die Grenze wechselten.

Irgendwann hatten wir auch diese Hürde genommen, doch es war immer noch nicht die letzte. Zwar lag unser Hotel ganz in der Nähe; wir hatten es vom Bus aus schon gesehen. Doch bei JB Central kreuzte eine breite Autobahn die Stadt, die zu Fuß kaum überwindbar war, schon gar nicht mit drei sperrigen Koffern. Also hieß es wieder einen Taxistand suchen – durch lange Gänge irren, Koffer auf Rolltreppen schieben, Einheimische um Auskunft bitten. Doch die Taxischlange, in der wir schließlich landeten, war kurz und sollte auch für heute die letzte sein. Das Taxi brachte uns tatsächlich zu unserem Hotel, wo wir endlich die heiß ersehnte Dusche, das heiß ersehnte Essen und das heiß ersehnte Nachtlager fanden – wir hatten kaum mehr daran geglaubt.

Nun, die Befürchtung, diesen Ablauf bei jedem Grenzwechsel erleben zu müssen, erwies sich zum Glück als unbegründet. Nicht immer hatten die Ein- und Ausreisehallen solch einen Ansturm an Reisenden zu fassen wie am Jahresende. An den folgenden Tagen lernten wir, den „kleinen Grenzverkehr“ soweit zu beherrschen, dass sich die Wartezeit tröstlich reduzierte. Wir erkannten  mit geübten Blicken, welche Warteschlange am schnellsten vorwärtsrückte, wir steuerten zielsicher auf die richtigen Bushaltestellen zu, und wir fanden heraus, wann die günstigsten Tageszeiten für das Passieren der Grenze waren. Fast mit Stolz präsentierten wir unsere Pässe, deren Seiten sich nach und nach mit Stempeln füllten. Doch der Hin- und Rückweg war trotzdem jedes Mal deprimierend lang und hemmte jeden touristischen Elan, so dass wir die Quartierwahl bitter bereuten. Deshalb soll dieser Bericht einem Jeden zur Warnung dienen, der vielleicht auch mit dem Gedanken spielt, die Kosten seines Singapore-Aufenthalt durch ein günstiges Hotel in Malaysia zu reduzieren: Leute, spart nicht an der falschen Stelle! Legt lieber ein paar Groschen mehr drauf für ein zentral gelegenes Hotel! Wir EU-Bürger, seit Jahren an freizügigen Grenzverkehr gewöhnt, laufen Gefahr zu vergessen, dass es solche Grenzen wie die zwischen Malaysia und Singapore noch gibt. Aber es gibt sie, und sie kosten die Menschen viel Zeit und Lebenskraft.

 

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