Edeltraud Eckert verteilte Flugblätter, auf denen freie Wahlen und demokratische Rechte gefordert werden. Dafür wurde sie 1950 zu 25 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis begann sie Gedichte zu schreiben. 

Sie war begabt, soviel kann man sagen. Sie war nicht genial, und sie hat in den 25 Jahren, die sie auf der Erde weilte, kein bedeutendes, bleibendes Werk hinterlassen. Hätte sie weitergelebt, so wäre sie vielleicht zu einer großen Lyrikerin gereift. Aber vielleicht hätte sie die Schreiberei auch aufgegeben, einen bürgerlichen Beruf ergriffen, Kinder großgezogen und zwischen Arbeits- und Familienalltag ihre künstlerischen Ambitionen vergessen, wie es so vielen begabten Menschen geschieht. Wir werden es niemals erfahren; doch gerade diese Potenz, diese spürbare, noch unentfaltete Begabung gibt dem frühen Tod der Edeltraut Eckert seine ganz besondere Tragik.

Edeltraud Eckert war ein Kriegskind, Jahrgang 1930. Sie stammte aus Oberschlesien, flüchtete zum Kriegsende mit ihrer Familie nach Brandenburg, legte dort das Abitur ab und studierte Pädagogik in Ostberlin. 

Bis dahin ein ganz normaler Lebenslauf. Doch als Studentin entwickelte sie eine kritische Einstellung zum kommunistischen System. Sie engagierte sich in einer Studentengruppe, debattierte mit Gleichgesinnten über politische Alternativen, verteilte Flugblätter, die Widerstand wachrufen sollten. Die jungen Leute flogen schnell auf. Kaum zwanzigjährig, wurde Edeltraud wegen des Besitzes von Flugblättern verhaftet und mit jener drakonischen Härte bestraft, die für die DDR-Justiz von jeher charakteristisch war: Dauerverhöre, Misshandlungen und schließlich die Übergabe an das sowjetische Militärtribunal, das sie zu 25 Jahren Haft verurteilte.

So wurde sie zur Dichterin: Sie schrieb, um das Gefängnis ertragen zu können. Ein Jahr lang wurde ihr aufgrund guter Führung von der Gefängnisleitung gnädig gestattet, ihre Gedichte in ein Oktavheft zu schreiben. Das ist ihre Hinterlassenschaft: ein graues Oktavheft voller Gedichte, 101 an der Zahl. Sie sind formal sehr klassisch, an Rilke geschult, und inhaltlich keineswegs systemkritisch, nur traurig – wenn sie beispielsweise ihr Leben mit einem „dunklen Lied“ vergleicht:

Mein Leben ist ein dunkles Lied,
Das an der Sehnsucht bangem Klange reift –
Ein weher Ton, wenn leis und müd
Das Schicksal in die Saiten greift.

Oder wenn sie sich an den „Abschied“ von ihrem Geliebten erinnert:

Auf Wiedersehen sagtest du,
Ich nickte, wollte dir nicht wehren,
Und wusste doch so gut wie du,
Ich würde lange Zeit nicht wiederkehren.

Sie hätte richtiger schreiben sollen: Ich würde niemals wiederkehren; denn die Wiederkehr, auf die sie zu diesem Zeitpunkt noch hoffte, war ihr nicht beschieden. In den Gefängnissen der frühen DDR herrschten unvorstellbar grausame Arbeits- und Lebensbedingungen. Insbesondere Arbeitsschutz war kaum vorhanden, so dass Unfälle an der Tagesordnung waren. Edeltraud Eckert, die als Mechanikerin in einer Schneiderwerkstatt arbeitete, geriet im Januar 1955 mit ihrem Haar in eine Maschine, die sie regelrecht skalpierte. Es heißt, sie hätte für eine Mitgefangene einen Gegenstand aufheben wollen, der unter die Maschine gefallen war, und sie hätte die Maschine dabei nicht abgestellt, um der Mitgefangenen einen Zeitverlust beziehungsweise eine Bestrafung wegen nicht erfüllter Arbeitsnorm zu ersparen.

Erst Tage später wurde Edeltrauds Kopfverletzung medizinisch behandelt, doch da war es bereits zu spät. Operationsversuche blieben ohne Erfolg, und unter den wenig hygienischen Bedingungen des Haftkrankenhauses stellten sich Infektionen ein. Als Wochen später noch ein Wundstarrkrampf hinzukam, war Edeltraud Eckert nicht mehr zu retten.

Der Wundstarrkrampf ist eine äußerst schmerzhafte Krankheit. Schon nach wenigen Tagen kann der Kranke den Mund nicht mehr öffnen; seine Züge verzerren sich zum „Teufelsgrinsen“. Im späteren Stadium verkrümmt sich das Rückgrat, nicht selten bis zum Wirbelbruch. Und die ganze Zeit über ist der Kranke voll bei Bewusstsein und empfindet sein Leid. So ist Edeltraud Eckert gestorben: mit kahlem Kopf, verzerrten Zügen und nach hinten verkrümmtem Rücken. Ein geradezu märtyrerhaft qualvoller Tod nach einem kurzen, schweren Leben.

Ihre Gedichte aber überlebten und kamen nach der Wende in die richtigen Hände: in diejenigen von Ines Geipel, die gemeinsam mit Joachim Walther seit 2005 aus Nachlässen ungedruckter DDR-Autoren die „Verschwiegene Bibliothek“ herausgibt. In diesem Rahmen sind die Gedichte zusammen mit den Briefen, die Edeltraud Eckert allmonatlich an ihre Familie schrieb, unter dem Titel „Jahr ohne Frühling“ erschienen.

Ines Geipel, die Herausgeberin der verdienstvollen Edition, blickt ebenfalls auf eine bemerkenswerte DDR-Biographie zurück: Sie war Leistungssportlerin auf dem Gebiet der Leichtathletik und gehörte zu der Staffel, die 1984 den bis heute unübertroffenen Weltrekord über 4x100 Meter aufstellte. Schon zu DDR-Zeiten hatte sie ihre Probleme mit dem System, und als sie nach der Wende erfuhr, dass sie jahrelang ohne ihr Wissen mit Doping-Präparaten abgefüllt worden war, setzte sie sich vehement für die Bestrafung der Schuldigen ein und verlangte die Streichung ihres Namens aus der Rekordliste des Deutschen Leichtathletikverbandes. Inzwischen war sie Buchautorin geworden, und die DDR blieb ihr hauptsächliches Thema. Bis heute erforscht sie die Schicksale verbotener und unterdrückter DDR-Autoren, um sie und ihre Werke dem Vergessen zu entreißen. Auch dieser Bericht über Edeltraud Eckert wäre ohne Ines Geipels Engagement nicht denkbar. Mag sein, dass Edeltraud Eckerts Gedichte an und für sich nicht ausgereicht hätten, um einen Nachruhm zu begründen, doch vor dem Hintergrund ihres tragischen Lebens und des uneingelösten Versprechens ihrer dichterischen Begabung liest man sie mit Erschütterung.

 

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