Ein Haus wie ein Bollwerk: "Haus an der Uferstraße" in MoskauDas "Haus an der Uferstraße" wurde Ende der 1920er Jahre für hohe Moskauer Parteifunktionäre gebaut. Auch die Familie des Bürgerkriegshelden Valentin Trifonow wohnte dort. 1938 wurde er verhaftet und hingerichtet. Sein Sohn, der Schriftsteller Juri Trifonow, hat das Schicksal seines Vaters und des Hauses an der Uferstraße beschrieben.

Valentin Trifonow war ein Altbolschewik, ein Haudegen aus den glorreichen Zeiten der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs – zu DDR-Zeiten hätte man gesagt: ein Held. Er hatte an beiden russischen Revolutionen, 1905 und 1917, aktiv teilgenommen, war ein namhafter Offizier in der Roten Armee und im Revolutionären Kriegsrat gewesen und hatte die Partei der Bolschewiki, der er seit frühester Jugend angehörte, auf verschiedenen führenden Posten als Politiker vertreten. Natürlich wurde er dafür vom sowjetischen Staat mit Ehren und Auszeichnungen überhäuft. Zu seinen Privilegien gehörte auch eine Wohnung im „Haus an der Moskwa“.

Es war nicht irgendein Haus, es war das Haus in Moskau. Ende der 1920er Jahre nach einem Entwurf des sowjetischen Stararchitekten Boris Iofan gebaut, diente das damalige „Haus der Regierung“ als Domizil für Parteifunktionäre, berühmte Künstler und verdiente Armeeoffiziere. Allein schon der Standort war spektakulär: Direkt beim Kreml gelegen, bot der riesige Prachtbau einen herrlichen Blick über die Moskwa und das Moskauer Stadtpanorama. Die Wohnungen waren für Moskauer Verhältnisse geradezu unglaublich luxuriös: geräumige, fünf Meter hohe Zimmer mit Parkettfußböden und breiten Balkonen, ausgestattet mit allem Komfort der Neuzeit. Das Haus verfügte über eine eigene Sporthalle, einen eigenen Kindergarten und eine eigene Bibliothek – und das alles in einer Zeit, da die Wohnverhältnisse in Moskau äußerst beengt und bedrückend waren, in der Zeit der berüchtigten Kommunalwohnungen, in denen sich mehrere Familien eine Küche und ein Badezimmer teilen mussten. Mit dem Bau des Hauses an der Uferstraße beginnt das Zeitalter der Sonderprivilegien für die Mitglieder des Partei- und Staatsapparates: Wer hier einziehen durfte, zählte zu Moskaus Oberen Zehntausend – so wie Valentin Trifonow, unser Held. 

Wenn du die Augen schließt, und jedes Glied
und jede Faser deines Leibes ruht -
dein Herz bleibt wach; dein Herz wird niemals müd;
und auch im tiefsten Schlafe rauscht dein Blut.

Ich schau’ aus meinem Fenster in der Nacht;
zum nahen Kreml wend ich mein Gesicht.
Die Stadt hat alle Augen zugemacht.
Und nur im Kreml drüben ist noch Licht.

Und wieder schau’ ich weit nach Mitternacht
zum Kreml hin. Es schläft die ganze Welt.
Und Licht um Licht wird drüben ausgemacht.
Ein einz’ges Fenster nur ist noch erhellt.

Spät leg’ ich meine Feder aus der Hand,
als schon die Dämmrung aus den Wolken bricht.
Ich schau’ zum Kreml. Ruhig schläft das Land.
Sein Herz blieb wach. Im Kreml ist noch Licht.

 

Erich Weinert, Im Kreml ist noch Licht (1937)

Doch es war ihm nicht beschieden, auch als Held in die Geschichtsbücher einzugehen: 1938 wurde er, wie viele andere Altbolschewiki, im Rahmen der Großen Säuberungen verhaftet und als Volksfeind hingerichtet. Er war nicht der einzige Bewohner des Hauses an der Uferstraße, den ein solches Schicksal ereilte. In den Jahren des stalinistischen Terrors 1936 bis 1938 wurden hier Nacht für Nacht Menschen verhaftet. Die Angst ging um in dem großen Haus, wenn auf den Korridoren die Stiefelschritte des NKWD-Männer zu hören waren: Wen würden sie als nächsten abholen? Aus heiterem Himmel wurden Funktionäre gestürzt und Offiziere des Landesverrats bezichtigt. 250 Bewohner des Hauses fielen dem stalinistischen Terror zum Opfer; und in einige der leeren Wohnungen zogen ausländische Emigranten ein, wie etwa der deutsche Dichter Erich Weinert, den der luxuriöse Blick auf den Kreml zu seinem berühmten Gedicht „Im Kreml ist noch Licht“ inspirierte, einem Hymnus auf Stalins gottgleiche Herrlichkeit.

Die Familie Valentin Trifonows musste nach dem Tod des Vaters das Haus an der Uferstraße verlassen und in eine Kommunalwohnung ziehen, wo sie das Los der gewöhnlichen Moskauer teilte. Doch Juri Trifonow, der Sohn, ist später Schriftsteller geworden – was sein Vater erlebte, hat er niedergeschrieben. „Das Haus an der Uferstraße“ war einer seiner wichtigsten Romane; er hat diese Bezeichnung für das Haus geprägt und dessen Geschichte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Juri Trifonow verstand sich nicht als literarischer Enthüller oder Dissident; doch seine Romane und Erzählungen entwerfen ein so tristes Bild vom Moskauer Leben und stehen in einem so entlarvenden Kontrast zur offiziellen Propagandaliteratur, dass sie stärker wirken als jede gezielte Anklage. Bis heute sind Geschichten wie „Der Tausch“ oder „Zwischenbilanz“ eine empfehlenswerte Lektüre für jeden, der etwas über den russischen Alltag in der Großstadt erfahren will. Dazu kamen Werke zu historischen Themen und dokumentarische Berichte, allesamt gleichfalls sehr lesenswert. Leider wurde Juri Trifonow nur 56 Jahre alt. Er starb 1981 nach einer missglückten Leber-Operation.

Der Prachtbau an der Uferstraße aber wird nach wie vor als Wohnhaus genutzt. Seine Ausstattung erscheint nach heutigen Standards nicht mehr gar so luxuriös, und seine Altersschwäche zeitigt einen chronischen Sanierungsbedarf; doch die Lage ist nach wie vor ein Traum, und die historische Weihe tut ein übriges, um potenzielle Mieter anzuziehen. Die Wohnungen hier sind hochbegehrt. Und in einer von ihnen hat Olga Trifonowa, die Witwe Juri Trifonows, ein kleines Museum zur Geschichte des Hauses und seiner einstigen Bewohner eingerichtet. So schließt sich der historische Kreis für die Familie Trifonow. Wen es nach Moskau verschlägt, dem sei ein Besuch dieser bemerkenswerten Stätte empfohlen.

Achtung! Ein Bericht über das "Haus an der Uferstraße" findet sich auch in meiner Sammlung "Geheime Skandale" (Band II, Sowjetunion).

 

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