Ottfried Graf FinckensteinOttfried Graf Finckenstein war während des Dritten Reiches ein gefeierter Autor, doch das macht ihn nicht automatisch zum primitiven Apologeten der Naziideologie. Interessant ist vielmehr die Frage, wie er in diese Rolle hineingeraten konnte. 

Auf den ersten Blick scheint Ottfried Graf Finckenstein ein klarer Fall: ostpreußischer Blut-und-Boden-Autor, Apologet der Naziideologie, einer jener üblen Hofberichterstatter, die ihren Geist und ihre Feder beflissen in den Dienst der braunen Machthaber stellten. Allein schon das bibliografische Verzeichnis, das Finckensteins Tochter Maria in mühevoller Recherche zusammengetragen hat, stellt dem Mann ein wenig einladendes Zeugnis aus. Akribisch vermerkt es Ansprachen über „Die Aufgabe des Dichters im Osten“, Betrachtungen über „Unsere innere Wandlung“ und Buchrezensionen mit markigen Titeln wie „Ein Roman von Volk, Boden und Adel“ oder „Muttertum als Lebenskraft“.

Andererseits ist Ottfried Graf Finckenstein seiner Familie und seinen Freunden als ein bewundernswert feinsinniger und gütiger Mensch in Erinnerung.

Mit Wärme gedenkt man des sensiblen Ästheten, des liebevollen Vaters, des geistvollen Plauderers. Wie passt das zusammen? Wie konnte solch ein Mann, ein Aristokrat im besten und stolzesten Sinn dieses Worts, der primitiven nationalsozialistischen Ideologie verfallen? In diesem Aufsatz wird versucht, darauf Antwort zu geben.

 Ottfried Graf Finckenstein, Jahrgang 1901, entstammt einem uralten westpreußischen Adelsgeschlecht und wächst auf dem Landsitz derer von Finckenstein in Schönberg bei Marienwerder (heute Kwidzyn/Polen) auf. Die erhaltenen Fotos zeigen ein Ambiente, wie man es aus gefühlvollen Romanen kennt: uralte Burgmauern, verträumte Seen, edel gewandete Herrschaften, die mit ihren Kindern und Hunden posieren… Eine schon damals anachronistische, dem Untergang geweihte Welt. Der junge Ottfried strebt zunächst aus dieser vornehm-morbiden Sphäre fort: Er geht nach Berlin, studiert Betriebswirtschaft, findet eine vielversprechende Anstellung bei einer Bank. Und er hat reichlich Teil an den Vergnügungen, die Berlin einem jungen Mann in den 1920er Jahren bietet: Glücksspiel, Liebschaften, Zechgelage… Natürlich geht das nicht lange gut. Ein beruflicher Fehlschlag bringt die Krise: Infolge des „Schwarzen Freitags“ von New York im Jahre 1929 verliert Finckenstein sein Privatvermögen und die Anstellung bei der Bank. Seine Karriere ist beendet, seine Existenz vernichtet. Der sensible junge Mann erleidet einen Nervenzusammenbruch, muss sich in ärztliche Behandlung begeben. In einem Schweizer Sanatorium findet er Heilung und dazu noch einen entscheidenden Fingerzeig für seine Zukunft: Ein Analytiker, der ihm aufgetragen hat, seine Träume niederzuschreiben, erklärt nach deren Lektüre begeistert, der Patient hätte wohl den Beruf verfehlt – so leicht und schön, wie er die Feder führe, müsse er unbedingt Schriftsteller werden.

 

Heim zur Scholle!

Als Finckenstein das Sanatorium verlässt, stehen zwei grundsätzliche Ziele für ihn fest. Das erste ist der Vorsatz zu schreiben und sich einen Broterwerb als belletristischer Autor aufzubauen. Das zweite Ziel aber lautet: Heim zur Scholle! Sein Platz ist nicht im verderbten Berlin. Sein Platz ist in der westpreußischen Heimat, in der Landschaft und Tradition seiner Vorfahren. Gleich der Held seines ersten, stark autobiographisch gefärbten Romans „Möwen am Bruch“ geht diesen Weg und findet nach Jahren eines sinnentleerten Lebens in der Großstadt Genesung und Erfüllung durch die Rückkehr zum Landsitz seiner aristokratischen Vorfahren. Finckenstein hat Glück: „Möwen am Bruch“ wird von einer renommierten Zeitschrift in Fortsetzungen abgedruckt. Zwar muss er noch manche Durststrecke bewältigen, bevor seine Schriftstellerkarriere in Fahrt kommt, aber der Grundstein ist gelegt. Auch im Privatleben hat er Glück: Er lernt die Redakteurin Eva Schubring kennen, die er 1934 heiratet; und bald nach der Hochzeit kann er sich auch seinen zweiten Lebenstraum erfüllen: Er kauft in seiner westpreußischen Heimat ein kleines Fischereigehöft und zieht mit seiner jungen Frau dort ein.

Die Sehnsucht nach der heimischen Scholle ist verständlich bei einem jungen Aristokraten, der in der Großstadt Schiffbruch erlitten hat; doch im Kontext der Zeit liegt sie bereits gefährlich nahe an der Blut-und-Boden-Ideologie, die von den Nazis propagiert wird. Die Idealisierung bodenständigen Landlebens und hergebrachten nationalen Brauchtums – natürlich einhergehend mit der Verwerfung des „jüdischen Nomadentums“ – spielt eine zentrale Rolle im Weltbild des Nationalsozialismus, und dieses Weltbild übt auf Finckenstein eine wachsende Faszination aus. Ein anderes Motiv, das ihn mächtig anzieht, ist die Idee der „Volksgemeinschaft“, einer national verbundenen Gruppe, die bedingungslos füreinander einsteht und in der es keine Rolle spielt, ob jemand arm ist oder reich. Nach den Wirren der Weimarer Republik, den blutigen Straßen- und Parteienkämpfen und dem ewig drohenden Gespenst von Umsturz und Revolution begrüßt Finckenstein mit Begeisterung die von Hitler geschaffene „Ruhe und Ordnung“. Plötzlich gibt es wieder Arbeitsplätze im Land, Wohlstand erblüht, alle ziehen an einem Strang. „Man kann endlich wieder glauben!“, konstatiert Finckenstein ergriffen. Dass er nunmehr auf den Umgang mit seinen jüdischen Freunden verzichten muss, sieht er als notwendiges Opfer an, das er freudig der „Bewegung“ darbringt.

Tatsächlich müssen die Jahre des Hitlerregimes, die düstersten in der deutschen Geschichte, für Finckenstein die schönsten und produktivsten seines Lebens gewesen sein. Die anfangs sehr glückliche Ehe mit Eva, der nach und nach fünf wohlgeratene Kinder entsprießen, das gesunde Landleben vor der traumhaft idyllischen Kulisse seiner westpreußischen Heimat und dazu der wachsende Erfolg als Autor – was kann ein Mensch vom Leben mehr verlangen? 1938 gelingt ihm mit dem Roman „Die Mutter“ sogar ein regelrechter Bestseller, der in etliche Sprachen übersetzt wird und ihn zu einem wohlhabenden Mann macht.

 Westpreußisches Landidyll: Ottfried Graf Finckenstein mit seiner Frau Eva (um 1938)

Der Roman handelt von einer Frau, die alles ihren Kindern zuliebe tut und für sie auf eigenes Glück verzichtet – nicht an und für sich eine Nazigeschichte, doch in der Glorifizierung der Mutterschaft und der aufopferungsvollen deutschen Frau ganz das, was sich die Machthaber wünschen. Ähnlich steht es auch um die übrigen Werke, die Romane, Erzählungen und Gedichte, die in dieser Zeit Finckensteins Feder entsprießen: Sie bedienen keineswegs explizit die Ideologie des Dritten Reiches und die aktuellen politischen Gegebenheiten; vielmehr handeln sie von hart arbeitenden Bauern, von schönen Frauen in Liebesnöten, von den urewigen Kämpfen und Konflikten des Menschen. Doch immer wieder schimmert indirekt das den Autor so faszinierende Motiv der „Volksgemeinschaft“ durch, die im Zusammenhalt erstarkt und alles „Kranke“ ausstößt; und das ist es, was Ottfried Graf Finckenstein zu einem gefeierten und geförderten Autor des Dritten Reiches macht. Er hält Lesereisen, besucht Schriftstellerkongresse, nimmt Auszeichnungen in Empfang. Während der Kriegsjahre wird „Die Mutter“ in Sonderdrucken vervielfältigt und an die Frontsoldaten verteilt, um deren Kampfmoral zu stärken. Insgesamt werden mehr als zwei Millionen Exemplare des Buches gedruckt. Sein nächster Roman „Abschied von Reiherberg“ wird sogar im Völkischen Beobachter vorabgedruckt. Finckenstein ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere und sieht keinen Grund, an deren Basis zu zweifeln.

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