Carson McCullersCarson McCullers steht im Schatten der großen Südstaaten-Autoren wie Faulkner oder Capote. Aber das hat sie nicht verdient, denn ihre Texte, realistisch und doch sonderbar romantisch entrückt, sind bis heute faszinierend. Der Titel ihres ersten Romans "Das Herz ist ein einsamer Jäger" ist bezeichnend für ihr Leben und Werk. 

Sie wuchs auf in einer verschlafenen Kleinstadt des amerikanischen Südens, ganz wie eine jener fragilen, hochsensiblen Mädchenfiguren, die sie später in ihren Romanen beschrieb. Über ihrer Kindheit lag die Trägheit des Südens, die Armut, die Hitze, die Einsamkeit; doch jenseits all dessen erschuf sie sich eine innere Welt der Poesie und Musik.

Das reich begabte junge Mädchen wollte ursprünglich Pianistin werden. Als ihr das aus gesundheitlichen Gründen versagt blieb, warf sie sich auf die Schriftstellerei. Schon als Teenager schrieb sie schöne Erzählungen, und kaum hatte sie die Schule beendet, als sie auch schon nach New York ging, fest entschlossen, als Autorin ihr Brot zu verdienen. Das naive Provinzmädchen hatte es nicht leicht, im New Yorker Leben Fuß zu fassen; doch alsbald konnte sie ein paar ihrer Erzählungen in Literaturzeitschriften platzieren, und 1940, sie war gerade 23, erschien in einem renommierten Verlag ihr erster Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger“, der auch gleich ihr literarischer Durchbruch wurde.

Der Titel war nicht ihre Idee, sondern diejenige des Verlages, doch aus heutiger Sicht erscheint er programmatisch, nicht nur in Bezug auf ihren Erstling, sondern auf ihr ganzes Werk, einen Mikrokosmos, voll von einsamen und seelisch ausgehungerten Menschen auf der verzweifelten Jagd nach der Liebe, die sie zum Leben brauchen wie das tägliche Brot. Ich mag besonders die Meisternovelle „Spiegelbild im goldnen Auge“, gleichfalls aus der Frühzeit ihres Schaffens: ein balladesker, hoffnungsloser Liebesreigen, ganz eingetaucht in die träge, flirrende Atmosphäre des amerikanischen Südens.

Auch ihr eigenes Leben war von dieser hoffnungslosen Jagd nach Liebe geprägt: Mit zwanzig heiratete sie Reeves McCullers, mit dem sie eine stürmische Ehe führte: Man liebte sich, man fetzte sich, man ließ sich scheiden, man heiratete wieder… Mehrfach unternahm sie Selbstmordversuche, doch am Ende war es Reeves, der sich während einer ihrer Ehekrisen das Leben nahm.

In den späteren Jahren war sie schwer krank: Sie litt an schmerzhaftem Gelenkrheumatismus und erlitt mehrere Schlaganfälle. Und sie trank zuviel, was natürlich ihrer Gesundheit auch nicht gut tat. Am Ende war sie halbseitig gelähmt und musste ihre letzten Texte diktieren. Im Alter von nur fünfzig Jahren starb sie an den Folgen einer Gehirnblutung.

Man könnte ihr Leben tragisch nennen, doch wer ein solches Werk hinterlässt, der hat kein tragisches, sondern ein hoch privilegiertes Leben geführt. Mir ist, als hätte ich sie persönlich gekannt, das schlaksige Mädchen, das durch die staubigen Straßen ihrer Heimatstadt zieht, die einsame Jägerin nach Liebe, die Kämpferin am Schreibtisch, die der Krankheit und Trunksucht einen Satz nach dem anderen abtrotzt. Literaturgeschichtlich steht sie in einer Reihe mit den großen Südstaaten-Autoren wie Truman Capote oder William Faulkner, und sie steht auch ein wenig in deren Schatten (obwohl sie mir von ihnen allen die liebste ist). Tatsächlich lässt sie sich schwer einordnen: Ihre Texte sind realistisch und zugleich sonderbar entrückt und romantisch. Man hat sie mit Tschechow verglichen, mit Hemingway und mit Tennessee Williams; doch in ihrer autobiographisch geprägten Gestaltungskraft ist sie einzigartig. 

 

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