Niedergebrüllt und ausgepfiffen
1933 geht die produktive Ära der Weimarer Republik jäh zu Ende. Ein neuer Geist ergreift von Deutschland Besitz – ein Geist, der Fritz Busch ganz und gar nicht behagt. Von jeher fühlt er sich als Patriot. Am Ersten Weltkrieg hatte er als Kriegsfreiwilliger teilgenommen, weil er sich in der Pflicht sah, für das Land zu kämpfen, das ihm seine Ausbildung und seinen Aufstieg ermöglicht hatte. Als „gründlicher Deutscher“ informiert er sich auch über den aufstrebenden Adolf Hitler, liest sogar dessen Buch „Mein Kampf“; und diese Lektüre verwandelt seinen „instinktiven Widerwillen“ gegen die Nationalsozialisten in „bewusste Gegnerschaft“. Als sie in Dresden die Macht ergreifen, stellt er sehr schnell klar, dass er sich nicht mit ihnen zu verbünden gedenkt. Daraufhin wird am 7. März 1933 eine jener berüchtigten Pogromveranstaltungen inszeniert, mit denen die Nazis damals ihre Gegner zu terrorisieren pflegen. Fritz Busch, der an diesem Abend den „Rigoletto“ dirigieren soll, wird bei seinem Erscheinen im Orchestergraben so niedergebrüllt, ausgebuht und ausgepfiffen, dass er das Pult und das Opernhaus verlassen muss. Bald darauf enthebt man ihn seines Amtes als Generalmusikdirektor der Semperoper Dresden. Kurz entschlossen nimmt ein Angebot der Opera Colón in Buenos Aires an und geht mit seiner Familie nach Argentinien.
Die Führung der NSDAP scheint später das rüpelhafte Verhalten zu bedauern, mit dem sie einen der bedeutendsten, auch auf internationalem Parkett renommiertesten Dirigenten Deutschlands verprellt hat. Immer wieder erhält Fritz Busch während der folgenden Jahre Offerten, in deutschen Konzertsälen zu dirigieren; doch solange das Dritte Reich besteht, lässt er sich nicht zur Rückkehr nach Deutschland bewegen.
Für den vakanten Posten in Dresden finden die Nazis schnell Ersatz – würdigen Ersatz, wie man anerkennen muss, denn Karl Böhm, der neue Generalmusikdirektor, ist gleichfalls ein exzellenter Dirigent, und auch unter seiner Ägide erlebt die Dresdner Semperoper eine Zeit der höchsten musikalischen Blüte. Aus der Sicht der braunen Machthaber hat Karl Böhm überdies noch den Vorzug, ein beflissener Anhänger ihres politischen Systems zu sein: Nie versäumt er es, seinem Führer artig zum Geburtstag zu gratulieren, und als dieser Österreich „heim ins Reich“ holt, jubelt der gebürtige Österreicher Böhm: „Wer dieser Tat des Führers nicht mit einem hundertprozentigen Ja zustimmt, verdient nicht, den Ehrennamen Deutscher zu tragen.“ Die Machthaber zeigen sich erkenntlich: Karl Böhm erhält eine „arisisierte“ Villa und wird während des Krieges in die berühmte „Gottbegnadetenliste“ aufgenommen, die ihn von jedem Kriegseinsatz freistellt.
Und nach dem Krieg? Da empfand er nicht mehr als das ärgerliche Gefühl, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. „Ich hatte damals leider kein Angebot von der Met oder von Covent Garden“, so erklärt er in seinen Memoiren die Tatsache, dass er für das Dritte Reich gearbeitet hat; und wenn auch der Name Fritz Busch nicht fällt, ist doch der neiderfüllte Seitenhieb auf diesen Kollegen unverkennbar, denn der wird damals gerade an der New Yorker Met gefeiert.
Zweite Karriere fern der Heimat
Auch in Fritz Buschs Erinnerungen fällt der Name Böhm kein einziges Mal. In dieser Hinsicht wahrt Busch, wie überhaupt, wenn es um personelle Interna oder kritisch gesehene Zeitgenossen geht, eine eiserne Diskretion, die den Leser oftmals unbefriedigt lässt. Doch im Nachwort zu Buschs Erinnerungsbuch schildert Arthur Tröber, vormals Violinist an der Staatskapelle Dresden, eine Begegnung mit Fritz Busch 1936 in London. „Was ist das für ein Mann, der Böhm?“, soll Busch ihn damals unvermittelt gefragt haben. Er will genau wissen, ob sein Nachfolger auch die Fähigkeit besitzt, die „klangliche Kultur der Kapelle zu erhalten und weiterzuentwickeln“; das ist seine große Sorge. Und Tröber wird klar, „wie dieser große deutsche Künstler noch immer in der Heimat wurzelte, die ihn vertrieben hatte“.
Hier liegt in der Tat die Tragik im Leben dieses sonst so beneidenswert erfolgsverwöhnten Mannes. Der Dresdner Rausschmiss durch die Nazis schadet Buschs Karriere nicht im Geringsten; das Leid und Elend der Emigration ficht den großen Überflieger nicht an. Er dirigiert erfolgreich am Teatro Colón, er gibt Konzerte in Skandinavien, er gründet zusammen mit Carl Ebert die bis heute hoch angesehenen Opernfestspiele in Glyndebourne, er wird an die Met engagiert, und über all das ließe sich genauso ausführlich schreiben wie über die Jahre in Dresden. Doch eines haben ihm die Nazis für immer genommen: das Verwachsensein mit der Heimat. Zwar kehrt er nach dem Krieg mehrmals nach Deutschland zurück, um bis zu seinem frühen und plötzlichen Tod im Jahre 1951 diverse Konzerte und Opern zu leiten, doch sein Lebensmittelpunkt ist längst anderswo. Und so lebt denn auch sein Andenken bei Weitem nicht so stark im Bewusstsein der Musik liebenden Deutschen fort wie dasjenige der Böhms und Furtwänglers, die sich mit den Nazis arrangierten – aus den Augen, aus dem Sinn. An der Met oder in Glyndebourne mag man Fritz Buschs Andenken in Ehren halten, doch in seinem eigenen Vaterland ist dieser große Dirigent, der wie kaum ein anderer dazu beitrug, den Ruf der deutschen Musikkultur in aller Welt zu festigen, heute so gut wie vergessen, obwohl er einst zusammen mit denen, deren Nachruhm bis heute fortwirkt, in der ersten Reihe unter den bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten Deutschlands stand.
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