Die Krankenstation als Gelddruckmaschine
Das Problem, für das ich Hilfe suche, betrifft die Krankenstation des Schiffs. Ich hatte mir schon vor der Kreuzfahrt eine starke Erkältung zugezogen, und jetzt kommen noch Nierenbeschwerden hinzu, die von Tag zu Tag stärker werden. Ich denke, dass ich Antibiotika brauche, und wage mich auf die Krankenstation, obwohl ihr kein guter Ruf anhängt. Allein um sein Anliegen vorzutragen, muss man 99 Dollar berappen, und dazu ist dann noch jeder Handschlag des Doktors oder seiner Gehilfen in stolzer Höhe zu vergüten. Zwar habe ich eine Auslandsreiseversicherung, aber wird die für so viel Luxus aufkommen? Ich riskiere es – und verlebe einen Horrorvormittag auf der Krankenstation. Erschreckend ist nicht nur die absolute Inkompetenz des Personals – etwa die Krankenschwester, die mindestens ein Dutzend äußerst schmerzhafter Anläufe braucht, bevor sie mir Blut abnehmen kann –, sondern vor allem das Fehlen jeder Empathie. Diese Station ist eine eisige Gelddruckmaschine.
Als ich sie nach dreieinhalb quälend langen Stunden wieder verlasse, hat sich eine Rechnung von 500 Dollar auf meinem Bordkonto angehäuft. Dafür trage ich ein Antibiotikum bei mir, von dem ich mir Genesung erhoffe. Das allerdings erweist sich als Trugschluss: Das Antibiotikum hilft nicht nur nicht, sondern verschlimmert sogar noch meinen Zustand. Was nun? Noch einmal diese unsägliche Krankenstation aufzusuchen, sträubt sich in mir jede Faser, doch eine andere ist weder auf dem Schiff noch in den Weiten des Pazifik zu finden. In dieser Lage hätte ich gern einen Reisevertreter um Rat gebeten, doch auch ein solcher ist weder auf dem Schiff noch in den Weiten des Pazifik zu finden.
Als wir laut darüber nachdenken, die Kreuzfahrt abzubrechen und von Honolulu aus nach Hause zu fliegen, erhalte ich unverhofft einen Anruf des Doktors: Wenn ich das Antibiotikum nicht vertrüge, könne er es auch mit einem anderen versuchen. Ich habe zwar kein Vertrauen zu dem Mann und vor allem keine Lust, den 500 Dollar, die ich schon in den Sand gesetzt habe, noch weiteres Geld hinterherzuwerfen; doch jede andere Option ist so schwierig, dass ich mich zähneknirschend zu einem zweiten Besuch auf der Krankenstation entschließe. Diesmal verweigere ich jede Blut- oder Urinuntersuchung, bitte nur um den Austausch des Medikamentes. Trotzdem kommt auch diesmal wieder eine Rechnung von 150 Dollar zusammen.
Das zweite Medikament schlägt etwas besser an, so dass ich allmählich in der Lage bin, die Bordaktivitäten wahrzunehmen, die erfreulich zahlreich und vielfältig sind. Auch hier richten sich viele Angebote gezielt an ältere Semester: Bibelstunden, Bingo-Nachmittage oder Kurse im Serviettenfalten nehmen im Tagesprogramm breiten Raum ein. Doch in der Fülle des Angebotes findet sich auch durchaus Interessantes, etwa die Veranstaltungen rund um die Region, die wir bereisen. In unserem Fall ist das Hawaii, und dazu fällt den Veranstaltern einiges ein. Es gibt nicht nur Einführungen zu den Landgängen, die uns erwarten, sondern auch recht gute Vorträge über Landschaft und Geschichte der Inseln.
Natürlich wird ein Hula-Kurs abgehalten, und der ist viel ernsthafter und authentischer, als man es auf diesem Schiff erwarten sollte. Die Kursleiterin kommt wirklich aus Hawaii, und sie versteht es, die Kultur ihrer Heimat zu vermitteln. Ihre Schülerinnen – männliche Schüler sind zugelassen, aber rar – haben teilweise beim Tanzen mit erheblichen körperlichen und/oder mentalen Problemen zu kämpfen, doch die Kursleiterin grenzt niemanden aus und bringt mit viel Geduld das Kunststück fertig, eine sehr heterogene Gruppe in halbwegs synchrone Bewegung zu bringen.
„Lealoha“ lautet ihr klangvoller Name, und ihr Ehemann nennt sich launig „Tiki Dave“. Die beiden sind seit nunmehr 18 Jahren auf den Schiffen von Princess Cruises tätig. Tiki Dave ist es, der an den ersten Seetagen die Informationsvorträge zu den hawaiianischen Landgängen hält, denn obgleich Festlandamerikaner, hat er sich in den Jahren seiner Ehe gleichfalls zum Hawaii-Experten entwickelt. Außerdem singt er gern und gut, sowohl solo als auch im Duett mit Lealoha, und gibt abends in der Bar schöne Hawaii-Songs zum Besten. Seine besondere Spezialität aber ist der Ukulele-Kurs, den er auf jeder Kreuzfahrt gibt und der erstaunlich großen Zulauf hat. Jeder kann teilnehmen, auch blutige Anfänger, und es scheint, als ob gerade diese gern die Gelegenheit ergreifen, in die Kunst des Ukulelespiels hineinzuschnuppern. Einige haben Hobby-Kenntnisse und bringen ihre eigenen Instrumente mit, doch die meisten haben offenbar noch nie eine Ukulele in der Hand gehabt.
Auch Tiki Dave ist ein guter und geduldiger Kursleiter. Er bringt den Eleven ein paar Griffe bei und lässt sie leichte Hawaii-Songs begleiten – dieselben Songs, zu denen die Hula-Gruppe tanzt. So entsteht ein kursübergreifendes Programm, das am Ende der Fahrt im Princess Theatre vor den Schiffsgästen aufgeführt wird. Dann versammelt sich auf der Bühne eine stattliche Gesellschaft: Im Hintergrund stehen die Spieler und schlagen auf ihre Ukulelen ein, im Vordergrund drehen sich die Hula-Tänzer. Es ist anrührend zu sehen, mit welcher Freude und mit welchem Eifer sie alle bei der Sache sind.
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