Sie waren beide Störenfriede, Wolf Biermann im Osten, Wolfgang Neuss im Westen. 1965 kam es zu einem gemeinsamen Konzert in Frankfurt, dessen Mitschnitt Kultstatus erlangte - lange bevor Wolf Biermanns Ausbürgerung aus der DDR das SED-System erschütterte und lange bevor Wolfgang Neuss in der Drogensucht versank.

Der eine war Kommunist, der andere skeptischer Sozialdemokrat. Der eine schrieb poetische Lieder, der andere bissige Kabarettsketche. Doch eines hatten sie gemein: Sie waren in den 1960er Jahren die großen Störenfriede der Gesellschaft, Wolf Biermann im Osten, Wolfgang Neuss im Westen. Als sie 1965 in Frankfurt aufeinandertrafen, hatten sie beide schon mit Fleiß dieses Störenfried-Image kultiviert und sich damit einen Namen gemacht.

Neuss, das freche „Kellerkind“ der Wirtschaftswunder-Republik, hatte mit bissigen Kabarettnummern das Spießeridyll der 1950er und 60er Jahre aufgemischt, hatte – Skandal ohnegleichen! – via Zeitungsannonce den Mörder in einem Durbrigde-Fortsetzungskrimi verraten und in spektakulären Medienaktionen ständig wider den Stachel gelöckt. Wolf Biermann hatte mit aufmüpfigen Texten die SED-Bonzen provoziert, hatte sich Auftrittsverbote eingehandelt und in einem Kreis von Gleichgesinnten eine kleine freie Subkultur etabliert. Erste Auftritte im Westen folgten, und hier war es Wolfgang Neuss, der das Störenfried-Potenzial des begabten jungen Mannes erkannte und ihn zu einem gemeinsamen Programm einlud. Die Folge war ein denkwürdiger Ost-West-Abend, einer der ersten seiner Art, und die Folge war eine Mitschnitt-LP, die heiß begehrt in der DDR kursierte und bis heute Kultstatus hat. 

Wolf Biermann (Ost)Der Rest ist Geschichte: Kein Geringerer als Erich Honecker bescherte Biermann schließlich den ganz großen Ruhm, als er ihn 1976, nach einem besonders aufmüpfigen Konzert in der Bundesrepublik, kurz entschlossen aus der DDR ausbürgerte und damit einen Sturm auslöste, der das Kartenhaus des Sozialismus schon damals gefährlich ins Wackeln brachte. Von da an lebte Biermann in der Bundesrepublik, erst unfreiwillig, doch dann zusehends geneigter. Als die Wende seine alte Heimat hinwegfegte, blieb er in Hamburg und ließ sich als Held des Widerstands feiern.

Wolfgang Neuss (West)

Wolfgang Neuss erlebte die Wende nicht mehr. Sein Niedergang begann schon in den 1970er Jahren, als er nicht mehr mit Politaktionen, sondern durch seine Drogenabhängigkeit in die Schlagzeilen geriet. Zwar reizte er auch diese Seite seines Lebens mit provokanten Sprüchen aus („Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen!“), doch seine große Zeit war unwiderruflich vorbei. Nur alten Weggefährten, die ihn über Wasser hielten, hatte er sein finanzielles Überleben und bisweilen auch ein kleines Comeback zu verdanken. Nach jahrelangem Krebsleiden starb er im Frühjahr 1989.

Hören Sie Wolf Biermanns „Ballade vom Buckower Kleinstadtsonntag“, die Schlussnummer des Frankfurter Konzerts von 1965, und hören Sie dazu die ätzenden Kommentare von Wolfgang Neuss. Besonders an einen Satz habe ich während und nach der Wende oft denken müssen: „Seht, wie das Gesicht eures Feindes euch entsetzt, weil ihr erkennen müsst, wie sehr es eurem eigenen ähnelt.“ Weder daran noch am provinziellen Kleinstadtsonntag hat sich seit 1965 etwas geändert. 

Achtung! Auch in der Rubrik Musik-Oldies ist Wolfgang Neuss vertreten: Zusammen mit seinem langjährigen Partner Wolfgang Müller singt er den Wirtschaftswunder-Song.

 

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