Professor Adolf Theis stand längst im Rentenalter, als er ein kleines Beratungsunternehmen für Kliniken und Seniorenimmobilien gründete. Niemand hätte sich etwas Besonderes davon versprochen; doch seine "ProCurand AG" wuchs binnen weniger Jahre zu einem bundesweiten Betreiber für Seniorenimmobilien auf und ist heute ein Großkonzern.
Es war eine Zweizeilenannonce in der Zeitung: Schreibkraft für die Wochenenden gesucht. Ich meldete mich und bekam den Job, ohne Prüfung oder Vorstellungsgespräch, da ich die einzige Bewerberin war. Gleich am folgenden Sonntag marschierte ich zur angegebenen Adresse, einem düsteren Altbau im Prenzelberg.
Das war, wie sich herausstellte, die Privatwohnung des Arbeitgebers, eins der Zimmer diente ihm als Büro. Dorthin führte mich die Frau des Hauses. Ich wartete ein paar Minuten, dann kam ein uraltes Männchen hereingeschlurft, gab mir abwesend die Hand und begann, ohne sich groß mit Vorreden aufzuhalten, einen Brief in den Computer zu diktieren: „Also da schreiben wir an Herrn Müller…“ Und ich schrieb, den ganzen Sonntag lang, Briefe, Aktenvermerke, Konzepte.
Die Sonntagseinsätze wiederholten sich, und allmählich erfuhr ich, für wen ich da schrieb. Professor Doktor Adolf Theis war lange Jahre Präsident der Universität Tübingen gewesen, ein wichtiger Mann in respektabler Position. Doch mit Anfang Sechzig hatte er die Universität verlassen – im Zorn, wie ich viel später erfuhr – und sich nach einer kurzen Episode bei Dussmann, wo er auch nicht glücklich geworden war, mit einer Beratungsgesellschaft für Kliniken und Seniorenimmobilien selbstständig gemacht. Er beschäftigte eine Sekretärin und einen Berater, mehr nicht. Doch das Arbeitspensum war bei allen enorm. Besonders die Sekretärin wurde manchmal bis spät in die Nacht gequält; sie war es, die die Einstellung einer zweiten Schreibkraft mit Nachdruck gefordert und durchgesetzt hatte. Der alte Herr kam mit Diktiergeräten nicht zurecht. Er pflegte, ganz wie in seiner verflossenen Zeit als Ministerialrat im Bonner Kanzleramt, direkt in die Maschine zu diktieren – damals in die Schreibmaschine, jetzt in den Computer. Obwohl er langsam sprach, war das Mitschreiben hart. Die Finger brannten, der Rücken tat weh. Jedes Mal zog sich das Diktat über viele Stunden hin, in denen nichts zu hören war als das Klacken der Kuckucksuhr und die monotone, greisenhafte Stimme des Professors. Manchmal schlief der alte Herr, völlig überarbeitet, wie er war, mitten beim Diktieren ein. Dann wartete ich reglos am Computer, die Finger auf der Tastatur, und lauschte seinen tiefen Atemzügen. Warum tat sich dieser Mann das an? Warum konnte er nicht, wie es seinem Alter und seiner Finanzlage entsprach, ein beschauliches Rentnerdasein führen, in seinem Gärtchen Rosen schneiden und Seniorenreisen unternehmen? Warum musste er weit jenseits der Sechzig noch ein Unternehmen gründen, dem wohl kaum eine Zukunft beschieden war? Was hatte ich mir da bloß wieder für einen kruden Job an Land gezogen.
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