Die Ära Gründgens - ein Staatsschauspieler wird Schlossherr
Dr. Goldschmidt starb 1934, ein Jahr nach der Machtergreifung der Nazis. Erbe war sein Sohn Rudolf, doch Schloss Zeesen betreffend, gab es schon einen prominenten Kaufinteressenten: Gustaf Gründgens, Schauspieler der Spitzenklasse und seit Kurzem Intendant des Preußischen Staatstheaters am Gendarmenmarkt, suchte gerade nach einem Sommersitz und warf ein begehrliches Auge auf das frei gewordene Schlösschen. Mit Hilfe eines dubiosen Unterhändlers, der in SA-Uniform auftrat, wurde der jüdische Besitzer so eingeschüchtert, dass er Gründgens zum Schnäppchenpreis Haus und Grundstück überließ. Man munkelte sogar, dass Hermann Göring persönlich, ein großer Verehrer und Gönner von Gründgens, bei dem Geschäft ein wenig nachgeholfen hätte. Schließlich ging es auch darum, jüdisches Eigentum einem arischen Besitzer zuzuführen.
Noch im selben Jahr gesellte sich zum Besitzer eine Besitzerin. Gründgens brauchte nämlich eine Frau, und zwar so dringend wie kaum je ein Mann. Er war homosexuell, und das war in Berlin gerüchteweise bereits durchgesickert. Was, wenn die Gerüchte die Machthaber erreichten, wenn man ihn von ganz oben fallen ließ? Entlassung, Ächtung, KZ womöglich? Eine Alibi-Frau musste her, aber wer? Jugendfreundin Pamela Wedekind wies Gründgens’ Heiratsantrag zwar ab, hatte aber eine glänzende Idee: Sie schlug ihm Marianne Hoppe vor, deren Stern als Theater- und Filmschauspielerin damals gerade glänzend aufging. Auch sie hatte homosexuelle Neigungen und folglich ebenso gewichtige Gründe, sich „normal“ zu verheiraten, wie Gründgens selbst.
So fand eines der produktivsten deutschen Künstlerpaare zueinander, und Schloss Zeesen war für ihre Ehe von Anfang an ein wichtiger Schauplatz. Hier verbrachten die beiden ihre Ferientage, hier empfingen sie an den Wochenenden Freunde, und als Gründgens 1938 seine Effi-Briest-Verfilmung „Der Schritt vom Wege“ inszenierte, natürlich mit Marianne Hoppe in der Hauptrolle, da bildeten Gutshaus und Park die Kulisse für die Szenen, die auf dem Briestschen Landsitz Hohen-Cremmen spielten. Das waren die Glanzjahre des Schlosses Zeesen: Am Morgen nahm die Hausherrin ihr erstes Bad im See, vormittags spielte der Hausherr mit seinen Schauspielerkollegen auf dem Vorplatz Tennis, und des Abends war das schlichte Dörfchen nicht selten der Hintergrund rauschender Feste, zu denen die noblen Automobile gleich im Konvoi aus der Hauptstadt gefahren kamen.
Trotz der sonderbaren Umstände ihrer Heirat führten Gustaf Gründgens und Marianne Hoppe keine schlechte Ehe – eine bessere vielleicht als so manches Paar, das sich in heißer Liebe gefunden hatte. Auch als sie sich 1946 trennten, um mit gleichgeschlechtlichen Partnern zu leben, blieben sie einander kameradschaftlich verbunden. Noch im Alter bezeichnete Marianne Hoppe die Jahre, die sie mit Gustaf Gründgens verbrachte, als „das größte Geschenk“ ihres Lebens.
Während des Krieges boten die beiden auf Schloss Zeesen mehrmals Bekannten Zuflucht, die ausgebombt oder verfolgt worden waren. So versteckte sich hier in den letzten Kriegsmonaten die Familie des damals vielbeschäftigten Schauspielers Paul Bildt. Bildts Frau war Jüdin; auch die Tochter Eva litt als Halbjüdin unter Repressionen. Die Mutter starb an Krebs, doch die Tochter wurde eines der letzten Opfer des Krieges: Als im Frühjahr 1945 die Russen in Zeesen einfielen und die Dorffrauen brutal vergewaltigten, beschlossen Paul und Eva Bildt, ihrem Leben gemeinsam ein Ende zu setzen. Paul Bildt konnte gerettet werden, aber Eva Bildt starb, erst 29-jährig, an einer Überdosis Veronal.
Comments powered by CComment