Heiß umkämpfte Immobilie

Vielleicht lag es auch an dieser Tragödie, dass Gustaf Gründgens fortan die Freude an seinem Sommersitz verlor. Obwohl er rasch entnazifiziert und niemals wegen seiner Verbindungen zum Naziregime ernsthaft belangt wurde, kehrte er nicht mehr dorthin zurück. Er baute sich im Westen Deutschlands eine neue Existenz auf, während die junge DDR Schloss Zeesen in Besitz nahm. Man erklärte es zu Volkseigentum und etablierte darin, ganz dem sozialistischen Zeitgeist entsprechend, ein Kinderheim. Ab 1971 wurde das Haus dem Außenministerium der DDR zugewiesen. Es blieb zwar Kinderheim, doch die Bewohner waren nun Kinder von Diplomaten oder sogenannten „NSW-Kadern“, also DDR-Bürgern, die im westlichen Ausland tätig waren. Eine Zeitlang hatte das Außenministerium große Pläne mit dem Gebäude: Ein großes Schulungs- und Kongresszentrum sollte in der ländlichen Idylle entstehen. Doch die Bausubstanz des Schlosses war schon damals marode, so dass man den Totalabriss und vollständigen Neubau beschloss.

Dann aber kam der Untergang der DDR und setzte all diesen Plänen ein Ende. Das abgewrackte Schloss avancierte über Nacht zu einer hochkarätigen Immobilie, um die mit harten Bandagen gerangelt wurde. Gleich drei Parteien machten Ansprüche geltend: Da war zum ersten Peter Gründgens-Gorski, der letzte Lebensgefährte, Adoptivsohn und Erbe des 1963 verstorbenen Gustaf Gründgens – ein kampferprobter Prozessierer, der schon die Veröffentlichung von Klaus Manns Roman „Mephisto“ durch unermüdliche Gerichtsanrufung um sieben Jahre verzögert hatte, weil er Gründgens’ Person darin diffamiert sah. Da war zum zweiten Rudolf Goldschmidt, der mittlerweile hochbetagte jüdische Vorbesitzer des Schlosses, der den Verkauf desselben an Gründgens für ungültig erklären lassen wollte. Und zum dritten stieg auch noch – allerdings in einer krassen Außenseiterposition – das Auswärtige Amt als Rechtsnachfolger des Außenministeriums der DDR in den Ring.

Während der Kampf auf der Gerichtsebene tobte, wurde das umstrittene Gebäude auch in realitas handfest umkämpft. Schon 1991 hatte eine Gruppe von Linksalternativen illegal dort Einzug gehalten, die dafür sorgten, dass es stets hoch herging. Mehrmals gab es handfeste Schlägereien mit angreifenden Rechtsradikalen; einmal sollen sogar Schüsse gefallen sein. Aber auch innerhalb der Gruppe selbst kam es immer wieder zu Streit und Diskussionen. Zwar anfangs hatte man große Pläne: Eine Biobäckerei sollte in den Räumen des Schlosses eingerichtet werden, ein Kulturzentrum oder eine Schule. Doch so gern die jungen Leute aus der Umgebung auch zum sonntäglichen Frühstücksbuffet erschienen, wirklich arbeiten und etwas aufbauen wollten nur die allerwenigsten. Das Schloss verkam, verfiel, vermüllte; nicht mal für die dringendsten Instandhaltungsarbeiten waren Geld und Sachkenntnis vorhanden.

Endlich, 1998, fiel die gerichtliche Entscheidung: Schloss Zeesen wurde der Familie des jüdischen Vorbesitzers zugesprochen. Rudolf Goldschmidt erlebte noch die Rückübereignung, aber lange konnte er sich an seinem Besitz nicht mehr freuen. 1999 starb er, und das Schloss fiel seinem Geschäftspartner Manfred Wolff zu. Diesem gelang es immerhin, die Hausbesetzer zum Auszug zu bewegen, die sich diese Gnade teuer bezahlen ließen. Aber was nun? Um das Schloss zu erhalten, hätte man Millionen hineinpumpen müssen – Millionen, die niemand ausgeben wollte. Auch ein Konzept zur Neunutzung war nicht in Sicht. Mehrere Projekte zerschlugen sich. Dazu kamen noch Probleme mit der Unteren Denkmalschutzbehörde, die sich, wie so oft in derartigen Fällen, als Denkmalverhinderungsbehörde erwies. Ein Jahr nach dem anderen verstrich, ohne dass sich auch nur das Geringste tat.

Doch in letzter Zeit scheint endlich Bewegung in die Angelegenheit zu kommen. Ein Investor wurde gefunden, der auf der Basis der ursprünglichen Gebäudes eine Seniorenresidenz bauen will. In diesem Februar (Stand 2020) fanden auf dem Gelände die ersten Holzberäumungsarbeiten statt. Für das Projekt sind nach Angaben der Gemeinde Zeesen „mehrere 10 Millionen Euro“ geplant. Aber ob es nach dem Corona-Einbruch noch bei dieser Planung bleibt, steht zu bezweifeln.

Das Gelände ist durch eine Umzäunung geschützt, die allerdings mehr als eine Lücke aufweist. Man kann ohne weiteres hindurchschlüpfen und sich in dem weitläufigen Park ergehen. Dann blickt man wohl die bröckelnden Fassaden empor und denkt an all die wechselnden Schicksale, die sich in diesen Mauern vereinen. Den Sturz des unglücklichen Freiherrn Eberhard von Danckelman. Den kranken Dichter Klabund, der hier seine „Ode an Zeesen“ schrieb. Die rauschenden Feste des Gustaf Gründgens. Den Selbstmord der jungen Eva Bildt. Und schließlich die Wagenburgen und Müllberge der linksalternativen Hausbesetzer. Zurzeit ist völlig unklar, wer das nächste Kapitel in der wechselvollen Geschichte des Gebäudes schreiben wird. Sicher ist nur eins: Es wird noch sehr lange dauern, bis in diese Mauern wieder Leben einzieht.

 

Comments powered by CComment