Faktor 3: Kontinuität statt Achterbahn

Anders Tegnell„Wir haben von Anfang an gesagt: Das hier wird ein Marathon und kein Sprint. Deswegen brauchen wir Maßnahmen, die über sehr lange Zeiträume funktionieren. Wir haben nie daran geglaubt, dass dieses ständige Öffnen und Schließen der Gesellschaft funktioniert. Uns war klar, dass das zu viele negative Effekte mit sich bringt.“ 

So erklärte Anders Tegnell auf einer Pressekonferenz im November 2021 das Zustandekommen der schwedischen Strategie im Kampf mit dem Coronavirus; und dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Erinnern wir uns an den ersten Lockdown im Frühjahr 2020, die ausgestorbenen Straßen, die Jagd nach Klopapier, die geschlossenen Restaurants, und das alles bei Inzidenzen, über die man heute (Stand März 2022) milde lächeln würde. Damals sah man die Pandemie an wie ein kurzes gesellschaftliches Gewitter, vor dem man sich rasch irgendwo unterstellen und im geschützten Raum verharren musste, bis es vorübergezogen war. In gewissem Sinne mag das ein verzeihlicher Irrtum gewesen sein. Doch es sollte sich zum entscheidenden Fehler in der deutschen wie auch der internationalen Coronapolitik entwickeln. Hätte man abgesehen, wie langwierig die Sache wird, man hätte es sich vielleicht zweimal überlegt, ob es Sinn macht, ein ganzes Land über Jahre in ein chaotisches Provisorium zu stürzen. So aber gab es keinen Grund, sich über die sozialen und psychischen Folgen einer anhaltenden Abschottung Gedanken zu machen, schon gar nicht über mögliche Alternativen.

Die weitere Entwicklung war vorprogrammiert: Es galt, auf das Virus zu reagieren – ein anderer Weg schien nicht mehr offen zu stehen. Sanken die Fallzahlen, so wurde das als ein Erfolg der Regierungspolitik gefeiert. Stiegen sie an, so war das ein Zeichen, dass noch härtere Maßnahmen ergriffen werden mussten. Dann ging bei den Verantwortlichen das fieberhafte Kopfzerbrechen los: Was könnte man bloß tun, um die Maßnahmenspirale noch ein paar Windungen fester zu drehen? Was könnte man noch verbieten, welche Vorschrift noch verschärfen, welche Institution noch schließen? Maskenzwang? Das reicht nicht: Eine FFP2-Maske muss es sein – und wehe, jemand trägt eine aus Papier! Zutritt nur für Geimpfte und Genesene? Das reicht nicht: Und wenn sie noch so brav geimpft sind, sie brauchen einen tagesaktuellen Test, sonst müssen sie zu Hause bleiben! Doppelte Covid-Impfung? Das reicht nicht: Es muss auch noch geboostert werden, fünf Monate nach der Erstimpfung schon, ach was, drei Monate, möglichst zwei! Und dann diese Riesenzahl der Ungeimpften – was können wir noch tun, um ihnen die Teilhabe am Gesellschaftsleben zu verwehren? Dieser Abschaum darf unsere Luft nicht atmen!

„Viel hilft viel“ statt „weniger ist mehr“. Der fieberhafte, blinde Aktionismus der Panik, der kämpfen, kämpfen, kämpfen will, bar jeder Rücksicht auf das Porzellan, das nebenbei zerschlagen wird, doch stets in der Hoffnung, dass alles wieder gut wird, sobald man nur dies und jenes durchsetzt. Die Folgen sind bekannt: ein Chaos an ständig wechselnden Regulativen, die ein gesellschaftliches Leben fast unmöglich machen. Veranstaltungen, Besuche, Reisen, die man monatelang geplant hat, werden über Nacht abgesagt, Investitionen gehen verloren, langjährige Jobs brechen weg; und was das Schlimmste ist: Es bleiben Menschen auf der Strecke. 

Wir wissen nicht und werden nie erfahren, wie viele Corona-Todesfälle durch den Lockdown und durch die emsigen Maßnahmenpläne der Regierung vermieden wurden. Aber sicher ist, dass dadurch erschreckend viele Menschen ihre Lebensbasis verloren und in Not und Unglück stürzten, und sicher ist, dass es viele Tote gab, die ohne die Coronapolitik der Regierung noch am Leben wären. Die Coronaopfer werden penibel gezählt; die Lockdown-Opfer verschwinden einfach im Nichts. Man kennt nur die zerstörten Leben aus dem eigenen Bekanntenkreis. Die arbeitslose Frau, die eines Nachts durchdrehte und in die Psychiatrie gebracht werden musste. Den Handwerker, der sich das Leben nahm, weil alles, was er sich in Jahrzehnten aufgebaut hatte, den Bach runterging. Den alten Mann, der einen qualvollen Herztod starb, weil seine geplante Operation aufgrund der Pandemie wieder abgesagt wurde – und zwar zu einer Zeit, als in den meisten Kliniken die Corona-Abteilungen noch halbleer waren. Über solche Fälle wird heute in all dem Corona-Getöse kaum geredet. Es sind Kollateralschäden, die notwendig wurden, um noch Schlimmeres zu verhüten. Doch was kann schlimmer sein als der komplette Zusammenbruch eines Sozialgefüges? Die Lockdown-Toten sind genauso tot wie die Coronatoten, und wer weiß, vielleicht ist ihre Zahl nicht geringer. Eines Tages wird man bilanzieren, was die verfehlte Pandemiepolitik das Land an Opfern gekostet hat, und man wird die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen.

„Ihr sprecht über uns, als würden wir ein seltsames Experiment durchführen“, sagte Anders Tegnell einmal in einem Interview für das deutsche Fernsehen, „aber für uns sieht es so aus, als wäre der Lockdown das Experiment.“ Und in der Tat – wie harmlos nimmt sich der schwedische Corona-Sonderweg mit all seinen laxen Regeln aus, wenn man ihn mit dem Lockdown vergleicht, dem gefährlichsten Menschenexperiment, das es in der Geschichte je gegeben hat!

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