Luchino Visconti, Björn Andresen

Alter Mann im Dreck

Der schwedische Dokumentarfilm „Der schönste Junge der Welt“ schildert zunächst Björns große Zeit: die Entdeckung durch Visconti, den Erfolg der Tadzio-Figur, die Begeisterung der Japaner. Dann kommt ein abrupter Sprung in die Gegenwart, und wir befinden uns in einer heruntergekommenen Stockholmer Wohnung. Der Mieter ist ein alter Mann, der allein dort haust. Er bittet den Mieterschutzbund um Hilfe, denn ihm droht die Kündigung. Die Mieter haben sich beschwert, weil er den Gasherd brennen ließ, während er nicht zu Hause war. Eine Freundin liest ihm die Leviten: Kein Wunder, dass die Mieter sich Sorgen machten. Die ganze Wohnung sei völlig verwahrlost. Am Herdabzug hätte sich eine dicke Fettschicht angesammelt, die jeden Moment Feuer fangen könne! Die Bettdecke sei in voller Auflösung begriffen, da rieselten schon die Schaumflocken raus! Und erst der Teppich – verkeimt, verdreckt, vor Ungeziefer nur so wimmelnd! Hängenden Kopfes, ohne Widerspruch hört sich der Alte die Standpauke an. Was soll das, sind wir plötzlich im falschen Film?

Man braucht einen Moment, um zu begreifen, dass dieser müde, schmuddelige alte Mann, der sich da wie ein Kind herunterputzen lässt, kein anderer ist als unser Björn Andrésen, Viscontis ganzer Stolz, der Abgott der Japaner, der einstige schönste Junge der Welt. Um Gottes Willen, wie konnte er so tief sinken? Welche Katastrophen haben ihn ereilt? Und automatisch regt sich der Gedanke: Klarer Fall – sein früher Ruhm hat ihn zugrunde gerichtet.

Aber so klischeegemäß lief das nicht ab. Tatsächlich ist Björn sogar erstaunlich klug mit seinem frühen Ruhm umgegangen – sei es, dass er gut beraten wurde oder dass er von allein genügend Intelligenz besaß, um die eigene Situation zu durchschauen. Es wurde schon vermerkt, welch glückliche Wahl, zumindest unter PR- und Marketingaspekten, der Aufenthaltsort Japan war, wo sich der kurze Tadzio-Hype noch über Jahre verlängern und erweitern ließ. Doch selbst auf der Höhe seines Erfolges muss Björn klar gewesen sein, wie prekär, wie vergänglich die Schönheit ist, der er diesen Erfolg zu verdanken hat; und zurückgekehrt nach Schweden, setzt er alles daran, sich innerhalb der Branche, in die ihn der Zufall, aber auch der eigene Wille geführt hat, eine solidere Basis für die Zukunft zu erschaffen. Er besucht die Schauspielschule, um von der Pike auf ein Handwerk zu lernen, in dem er schon ungeschult mehr Ruhm erntete als die meisten seiner hochprofessionellen Kollegen. Er bildet sich auch musikalisch weiter, pflegt seinen Gesang und sein Klavierspiel, bringt sich selbst das Komponieren bei. Klaglos kehrt er zurück von seinem Höhenflug in einen glanzlosen Alltag fern der Prominenz, und sein ruhiges, genügsames Temperament bewahrt ihn vor den Fehlern, denen andere One-Hit-Wonder erlagen. Theoretisch hat er alles richtig gemacht.

Sein Berufsleben ist auch keineswegs erfolglos. Als Schauspieler wirkt er in etlichen schwedischen Film- und Fernsehproduktionen mit. Natürlich bekommt er nie mehr eine Rolle, die solches Aufsehen erregt wie Tadzio; außerhalb Schwedens bleibt er unbekannt. Doch lokal wird er relativ gut gebucht, auch als seine Jugendschönheit längst verblasst ist. Noch im Jahre 2019 spielt er eine Nebenrolle in dem international sehr erfolgreichen schwedisch-amerikanischen Horrorfilm „Midsommar“ von Ari Aster. Sein Wikipedia-Eintrag verzeichnet eine Filmographie, die zwar weder üppig noch kontinuierlich, aber über die Jahrzehnte doch recht ansehnlich ist. 

Auch als Musiker wird er immer wieder aktiv, er spielt und singt in verschiedenen Bands, darunter jahrelang in der landesweit bekannten „Sven Erics Dance Band“, mit der er auch an internationalen Auftritten und Tourneen teilnimmt, er komponiert und arrangiert und gibt zeitweise sogar Musikunterricht. Man sollte meinen, seine Berufsbilanz sehe insgesamt gar nicht so übel aus – die meisten seiner Mitstreiter in dieser unsicheren Branche wären heilfroh, wenn sie sie aufweisen könnten. 

Doch Erfolg und Scheitern sind relativ und an die konkrete Lebenslage gebunden. Es ist immer problematisch, wenn jemand schon als Jugendlicher ins Rampenlicht gehoben wird, um dann im Laufe der Zeit wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückzusinken. Man kennt die tragischen Schicksale von ehemaligen Kinderstars, die als Erwachsene niemals mehr die Bodenhaftung zur Realität erlangten. Björn hat es weniger hart getroffen als Bobby Driscoll oder Ricky Schroder; doch auch er ist nicht frei von einer gewissen Erbitterung über sein Los. Einmal bringt er es auf den Punkt: „Meine Karriere ist eine der wenigen, die an der absoluten Spitze begonnen und sich dann nach unten gearbeitet haben.“ Frustrierend, aber nicht zu ändern. Sein gutes Aussehen, verbunden mit einer Reihe von günstigen Zufallsfaktoren, hat ihn an die Spitze katapultiert; und als es darauf nicht mehr ankam, zeigte sich, wie es wirklich um seine Fähigkeiten stand: Er war nicht grottenschlecht, er war nicht überragend gut, er war mittelmäßig, wie die meisten von uns, und genauso verlief auch seine Karriere.

Comments powered by CComment