Soweit erscheint die Sache halbwegs verständlich. Fast jeder Mensch wird die Kultur, an die er gewöhnt ist, gegenüber einer fremden für die bessere halten; und man versteht auch, dass angesichts der polaren Gegensätze und des krassen sozialen Gefälles zwischen der eigenen und der fremden Nation die Dankbarkeit, die ein Flüchtling eigentlich für sein Gastland empfinden sollte, mit einem Gutteil Frust vermengt ist. Mehrere prominente Kommentatoren haben diesen Aspekt sehr stark herausgestellt und in ein dramatisches Licht gerückt. Ihrer Meinung nach hat sich die Aggression der Kölner Migranten nicht so sehr gegen die Frauen selbst als vielmehr indirekt gegen die deutschen Männer beziehungsweise gegen die deutsche Kultur und Lebensart gerichtet, die als verdorben und verweichlicht empfunden wird. Die Botschaft der Silvesternacht hätte gelautet: „Ihr könnt eure Frauen nicht verteidigen“, meint der Historiker Jörg Baberowski; und der syrisch-deutsche Politikwissenschaftler Bassam Tibi bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt:
Und es geht dem arabischen Mann bei der ausgeübten sexuellen Gewalt nicht nur um die „sexuelle Attraktion“ der europäischen Frau, sondern auch um den europäischen Mann, dessen Ehre der Orientale beschmutzen will. So ist es auch in Köln geschehen.
Aber solche Betrachtungen gehen ausschließlich von der Sicht der Täter aus. Die deutsche Perspektive ist weniger klar; doch man muss sie unbedingt einbeziehen, wenn das Bild vollständig werden soll. Warum haben sich, um im Kontext zu bleiben, die Europäer ihre Ehre widerstandslos beschmutzen lassen? Warum haben die Kölner Polizisten den Frauen, die sich an sie wandten, nicht geholfen? Immer wieder heißt es in den Berichten, sie hätten weggeschaut, geschwiegen, die Achseln gezuckt, sich für nicht zuständig erklärt – warum? War es wirklich nur die Überrumpelung durch die unerwartete Situation? War es Klugheit, war es Feigheit angesichts der Überzahl der Migranten?
Sicher war von alledem etwas dabei. Doch in erster Linie war es – das geht aus der Gesamtschau klar hervor – ein Konflikt mit der politischen Korrektheit. Der Grundsatz „Migranten tun so etwas nicht“, den die Kölner Oberbürgermeisterin noch Tage später wider besseres Wissen auf ihrer Pressekonferenz vertrat, dürfte auch den Polizisten in die Quere gekommen sein, als sie sich unvermutet vor der Notwendigkeit sahen, Partei zu ergreifen zwischen Ausländern und Deutschen. Wenn sich Deutsche über ausländische Bürger beschweren, sind sie bösartige Ausländerhasser und von rassistischen Motiven bewegt – dieses Klischee, das heute jeder im Kopf hat, das uns aus allen Medien entgegentönt, muss auch die Polizisten und Behörden beeinflusst oder zumindest verunsichert haben.
In ganz besonderem Maße gilt das für die Polizisten und Behörden von Köln. Dass der sonderbare Migrantenaufstand gerade in Köln und nicht anderswo stattfand, ist meiner Überzeugung nach kein Zufall. Köln war, wie schon erwähnt, eine Hochburg der Willkommenskultur. Doch das bedeutet leider auch, es war eine Hochburg der politischen Korrektheit, und es war eine Hochburg der Kuscheljustiz. Nirgendwo sonst wurden vor den Gerichten, hauptsächlich vor den Jugendgerichten, derart milde Urteile gegen kriminelle Migranten verhängt – nirgendwo sonst kamen so viele von ihnen selbst bei schwersten Delikten auf Bewährung frei. „Köln ist bekannt für seine Täter-Liebe und Opfer-Verachtung“, lautet einer der beißenden Kommentare, mit denen die Internetcommunity diese Praxis charakterisiert.
Infolgedessen hatte sich in Köln und Düsseldorf schon lange vor jener Silvesternacht eine starke Szene von nordafrikanischen Jugendbanden etabliert. Der sogenannte Casablanca-Bericht der Düsseldorfer Polizei vom November 2015 verzeichnet allein im Raum Köln-Düsseldorf 4.392 kriminelle Delikte innerhalb eines Jahres. Nicht weniger als 2.244 Tatverdächtige aus Nordafrika, überwiegend aus Marokko, wurden dabei polizeilich erfasst, die meisten nicht zum ersten Mal. In ihren Aktivitäten entfaltete sich eine bunte Palette der Kriminalität, die von Trick- und Taschendiebstählen über Drogenhandel bis hin zu schweren Raubdelikten reichte. Die Täter waren meist noch Jugendliche, sie genossen den vollen Schutz des Gesetzes, und das wussten sie auch verdammt genau. Selbst wenn sie, selten genug, gefasst wurden und sich vor Gericht verantworten mussten, konnten sie fest darauf vertrauen, sofort oder schlimmstenfalls nach ein paar Wochen Jugendarrest wieder auf die Menschheit losgelassen zu werden.
In der Dokumentation „Wenn der Rechtsstaat versagt“ von Spiegel TV gehen die Reporter an die Wurzeln des Geschehens. Sie begleiten am Kölner Hauptbahnhof die Einsätze der Polizei, die der ausländischen Diebesbanden kaum noch Herr wird. Sie erklären den „Antanztrick“, mit dem die jungen „Nafris“, wie die nordafrikanischen Intensivtäter regional bezeichnet werden, ihre Taschendiebstähle einleiten. Und sie sind vor Gericht dabei, als einer von ihnen, notorischer Dieb, nach kurzer Verhandlung wegen Handydiebstahls den Saal als freier Mann verlässt, ein breites Siegergrinsen im Gesicht. Die Nafris zeigen in den Interviews nicht die Spur von Verlegenheit oder Bedauern. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Dreistigkeit, die überlegene Verachtung, die sie uns Deutschen entgegenbringen. So verhalten sich junge, unreife Menschen, die mit ihrer Art zu leben höchst erfolgreich sind und keinen Grund sehen, sich zu ändern. Nafris wie diese waren anscheinend vielfach in der Kölner Silvesternacht aktiv; allein schon die besonders günstige Gelegenheit zum Taschendiebstahl dürfte Scharen von ihnen angelockt haben.
Die Spiegel-Reporter begeben sich aber auch in den innerstädtischen Alltag, wo die Einheimischen mehr und mehr unter den Migranten zu leiden haben. Der Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk wird im Volksmund bereits Klein-Maghreb genannt, weil er fest in nordafrikanischer Hand ist. Ein einheimischer Händler in der Fußgängerpassage schildert den Reportern die Misere:
Wir versuchen hier, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Und durch diese Leute werden unsere Geschäfte kaputtgemacht. Die belästigen unsere Kunden, unsere Kundinnen besonders, Frauen und alles. Mittlerweile… Sehen Sie hier `ne Frau? Gucken Sie sich mal um. Sehen Sie hier `ne Frau? Gar nicht. Früher waren hier so viele Frauen am Einkaufen. Jetzt mittlerweile gar nicht. Die trauen sich gar nicht mehr hier durch.
Die Spiegel-Doku erklärt die Kölner Silvesternacht von ihrer Vorgeschichte her, was umso wichtiger ist, als viele Kommentatoren gar nicht wissen oder schamhaft verschweigen, dass es überhaupt eine Vorgeschichte gibt. Doch die Ereignisse sind nicht als Blitz aus heiterem Himmel gekommen, auch wenn es damals vielen so erschien. Schon längst war die gesellschaftliche Entwicklung darauf zugetrieben, wie ein Fluss auf seine Mündung zutreibt. Nicht in der Lockerheit der Sitten oder in der Laschheit der Ehrbegriffe liegt die große Schwäche der westlichen gegenüber der islamischen Welt. Sie liegt in der Gutmenschen-Ideologie, die bestimmte Gruppen pauschal unter Schutz stellt und damit nicht nur das gesetzliche Instrumentarium des Staates lahmlegt, sondern auch die eigenen gesellschaftlichen Energien.
In der Silvesternacht von Köln haben die Migranten gelernt, welch erstaunliche Macht sie entfalten können, wenn sie ihre Energien bündeln. Aber haben auch die Deutschen aus der Nacht gelernt? Längst ist der Schockeffekt verflogen, der sie damals bewog, emsig Sokos zu gründen und Polizeirazzien durchzuführen. Die Nafris von Düsseldorf-Oberbilk sind dreist wie immer bei ihren Geschäften, und die Kuscheljustiz, die sich damals eine Zeitlang in Grenzen hielt, feiert wieder fröhliche Urständ. Doch eins haben die Deutschen sehr wohl gelernt: die Vorsicht gegenüber der schlummernden Bestie. Beim folgenden Silvesterfest wurde das Kölner Zentrum bewacht wie Fort Knox. Die Polizei löste jede noch so kleine Menschenansammlung umgehend auf, und kein Migrant bekam eine Chance, sich einem deutschen Frauenbusen bis auf Reichweite zu nähern. Auch bei späteren Großveranstaltungen behielt man bundesweit die Kölner Ereignisse fest im Kopf und trug Sorge, dass sie sich nicht wiederholten. Sie haben sich bisher auch nicht wiederholt. Doch das Menetekel, das von ihnen ausgeht, belastet unseren Alltag noch immer.
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