Soweit die Charakteristik Ali Bashars, wie sie während des Prozesses akribisch ausgebreitet wurde und in allen Zeitungen zu lesen stand. Sie weckt Antipathie und Empörung, gewiss; doch so ungewöhnlich ist sie auch wieder nicht, dass damit gleich ein Mord motiviert werden könnte. Jeder kennt solche verwöhnten und despotischen orientalischen Prinzen. Sogar unter den deutschen jungen Männern trifft man diesen Typus gelegentlich an, doch er kann eigentlich nur dort gedeihen, wo sich die Frauen entsprechend verhalten. Wenn es die patriarchalische Erziehung war, die Ali Bashar zum Mörder gemacht hat, dann gehörte Mutter Zebari gleich neben ihn auf die Anklagebank. Aber da man türkischen und arabischen Müttern nicht gut vorschreiben kann, wie sie ihre Söhne zu erziehen haben, wird es wohl noch für einige Generationen Männer vom Schlage Ali Bashars geben.

Zur „falschen“ Erziehung kommt das „falsche“ Weltbild: Ali Bashar erscheint ganz einfach unreif, gesellschaftlich naiv und wenig intelligent – „jung und blöd“, wie die Älteren zu sagen pflegen. Der Umzug nach Deutschland war das Schlimmste, was ihm in dieser Phase passieren konnte. Die naiven Illusionen über Deutschlands Reichtum und Liberalität wirkten auf seine ohnehin schon egozentrische und moralisch ungefestigte Persönlichkeit wie ein Katalysator zur Auslösung beziehungsweise Anfachung latenter krimineller Energie. Sein Fall zeigt klarer als jeder andere, wie wichtig es wäre, jugendlichen Flüchtlingen neben Deutsch- und Integrationskursen auch ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass die Liberalität eines Landes kein Selbstbedienungsladen für enthemmten Konsum ist, sondern ein gesellschaftlicher Wert, mit dem man verantwortungsvoll umgehen muss.

Zur Begründung eines Mordes ist auch dieser Punkt nicht geeignet; sonst müssten sämtliche Flüchtlingsheime voll von potenziellen Mördern sein. Es ist grotesk: Das Gutachten prangert Ali Bashar als ein Ausnahme-Monster unter lauter Guten und Normalen an, und in keinem Presseartikel über ihn fehlt die Bemerkung, dass seine kriminelle Entwicklung rein psychopathologisch bedingt ist und nicht das Geringste mit seiner Herkunft oder seinem Flüchtlingsstatus zu tun hat. Doch im Grunde bedient das Monster, das in dem Gutachten gezeichnet wird, mit seinen Ansichten und Eigenschaften genau das Klischee vom stinkfaulen, strunzdummen, schmarotzerisch abzockenden, sexistischen und kriminellen Migranten, das die Regierungstreuen eigentlich als Vorurteil bekämpfen wollen. Doch hier benutzen sie es gezielt, um einen Einzelnen zum Prügelknaben zu machen, zum Blitzableiter der Volksaggressionen, und damit das System insgesamt zu sanktionieren. Das hat das aufs Beste funktioniert: Wiesbaden ist kein zweites Kandel geworden. Die Leute blieben friedlich daheim. Sie hatten ja ihr Monster, das nach allen Regeln der juristischen Kunst geschlachtet wurde.

Doch gerade hier, wo die Berichterstattung ganz auf den abnormen Einzeltäter abstellt, gibt es ungeachtet aller Retuschen Hinweise, dass mehrere Personen an der Tat beteiligt waren oder zumindest Kenntnis davon hatten. Auch scheinen die Details des Verbrechens schon früh mit größter Selbstverständlichkeit im Wiesbadener Flüchtlingsheim kursiert zu sein, ohne dass jemand die Polizei informierte. Und dann ist da noch Susannas letzte WhatsApp, die sie in der Mordnacht einer Freundin schrieb: „Hilf mir. Ich habe Angst. Ich bin hier mit Ali und seinen Freunden in einem Flüchtlingsheim. Ich will gehen und sie lassen mich nicht. Sie halten mich fest.“ Nach einem Einzeltäter klingt das nicht.

Trotzdem hat Ali Bashar ein Mordgeständnis abgelegt, das ihn als alleinigen Täter ausweist. Er sagte aus, er hätte einvernehmlich mit Susanna Sex gehabt. Danach aber hätte sie aus ihm unbekannten Gründen plötzlich zur Polizei gehen wollen, und um das zu verhindern, hätte er sie erwürgt und allein ohne Hilfe zum Bahndamm geschleppt, wo man sie zwei Wochen später fand. Dieses Geständnis war die Basis für die Anklage gegen Ali Bashar. Doch das Landgericht Wiesbaden glaubte dem Angeklagten nicht, dass Susanna freiwillig mit ihm schlief. Vielmehr ging es von einer Vergewaltigung aus, die durch den Mord verdeckt werden sollte. Das erschien umso plausibler, als Ali Bashar noch in einem zweiten, nicht minder abstoßenden Fall von Vergewaltigung unter Anklage stand: Zusammen mit einem afghanischen Flüchtling hatte er ein elfjähriges Mädchen missbraucht – ein Verbrechen, das beinahe durch den Rost gefallen wäre und wahrscheinlich nur im Gefolge des Falles Susanna aufgeklärt wurde. In diesem Flüchtlingswohnheim müssen wirklich Zustände geherrscht haben wie im alten Rom.

Auch Ali Bashar stand genau an der Schwelle zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht. Bei der Einreise nach Deutschland wurde sein Geburtsdatum als 03.11.1997 festgehalten. Demzufolge wäre er zur Tatzeit am 22. Mai 2018 zwanzig Jahre alt gewesen, also gerade noch minderjährig. Doch als er unter Mordverdacht geriet, prüfte man seine Daten anhand irakischer Originaldokumente nochmals nach, und es stellte sich heraus, dass er bereits am 11.03.1997 geboren war. Wahrscheinlich hatte es sich bei dem ursprünglichen Datum nicht um eine bewusst falsche Angabe, sondern nur um eine Zahlenverdrehung gehandelt: International wird bei der Datumsangabe nicht der Tag, sondern der Monat vorangestellt.

Pech für Ali Bashar: Der kleine Zahlendreher beziehungsweise dessen Enthüllung entschied radikal über sein Schicksal. Die Richter dürften gejubelt haben: Jetzt konnten sie das Monstrum mit der Keule des Erwachsenenstrafrechts erschlagen. Ali Bashar wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Man stellte die besondere Schwere seiner Schuld fest, so dass eine Entlassung im üblichen Zeitrahmen ausgeschlossen war. Da ihm die Psychiaterin für die Zukunft „Wiederholungsgefahr“ bescheinigt hatte und das Gericht ihr darin folgte, behielt es sich zu alledem auch noch die Sicherungsverwahrung vor. Ali Bashar wird vermutlich nie mehr das Licht der Freiheit sehen. Härter kann das deutsche Recht nicht strafen.

Formal ist an dem Urteil nichts zu rütteln – die Entscheidung über Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht hängt allein vom Geburtsdatum des Angeklagten ab. Doch der kleine Zahlendreher, der bei der Aufnahme von Ali Bashars Geburtsdatum unterlaufen ist, macht deutlich, was für ein schmaler Grat die Milde von der Härte des Gesetzes trennt. Dem Geiste nach war Ali Bashar durchaus ein Kandidat für das Jugendstrafrecht, das er so tragisch knapp verpasst hat, denn sein Handeln wurde begründet von genau den Eigenschaften, die charakteristisch sind für eine temporäre Phase der Unreife: von jugendlicher Dummheit, jugendlichem Drang zum Bösen, jugendlicher Verantwortungslosigkeit. Hätte er länger in Deutschland leben und seine Gedankenwelt erweitern können, wer weiß, vielleicht hätte er sich nach und nach den Regeln seiner neuen Heimat angepasst; und dann wäre er vielleicht auch eines Tages einer Frau begegnet, die er hätte achten und lieben können. Doch genauso gut ist natürlich denkbar, dass er sich zu einem skrupellosen Gangsterboss entwickelt hätte und dass wir uns beim Gericht bedanken müssen, weil es diesen Mann für immer aus dem Verkehr gezogen hat.

 

Fazit

Wenn ich mir unter den drei Tätern, die ich hier geschildert habe, den übelsten und abstoßendsten aussuchen müsste, meine Wahl würde nicht auf Ali Bashar fallen. Ich würde Hussein Khavari die Palme reichen, dem Mörder der Maria Ladenburger. Wie dieser Mann aus purer Langeweile mal eben ein Mädchen vom Fahrrad tritt, wie er sie unbedingt vergewaltigen will, obwohl er, besoffen und bekifft, wie er ist, gar keine Erektion mehr zustande bringt, und wie er ihr stattdessen mit der Hand die Eingeweide zerreißt, das bildet für mich einen Grad der Verkommenheit, der nahezu an Vertiertheit grenzt. Dennoch hat sich die deutsche Presse über ihn nicht halb so entrüstet geäußert wie später über Ali Bashar. Auch im Fall Khavari hatte es ein psychologisches Gutachten gegeben, das zwar weitaus sachlicher formuliert war als dasjenige zu Ali Bashar, doch bezüglich der Frauenfeindlichkeit und Empathielosigkeit des Täters zu ganz ähnlichen Erkenntnissen gelangt, bis in einzelne Formulierungen hinein; doch dieses Gutachten hatte niemanden erregt. Es war von den Medien kaum beachtet worden.

Warum blieb Hussein Khavari von der gigantischen Medienschelte verschont, die anderthalb Jahre später auf Ali Bashar eingeprasselt ist? Meine Vermutung: weil er der Erste der mädchenmordenden Flüchtlinge war. Die offizielle deutsche Presse, jahrzehntelang daran gewöhnt, über Flüchtlinge und Migranten entweder wohlwollend zu berichten oder sie, sofern sie sich danebenbenahmen, einfach zu anonymisieren, reagierte verunsichert auf diesen Fall, in dem erstmals nicht vertuscht werden konnte, dass ein Flüchtling als böser Bube auftrat. Das harte Gerichtsurteil gegen ihn scheint zeitweise fast als ein gesellschaftliches Wagnis betrachtet worden zu sein.

Doch das Wagnis wurde allseits bejaht, und im Fall Mia Valentin ging man dann schon viel lockerer mit dem Tabuthema um: Man rückte ab von der zuvor propagierten Ansicht, die Herkunft eines Täters spiele für den jeweiligen Mordfall keine Rolle. Im Gegenteil, man entwickelte gerade von der Herkunft des Täters ausgehend ein gewisses Verständnis für seine Tat. Aber erst im Fall Ali Bashar war die Lockerung so weit vorangeschritten, dass man den Täter ungeniert verteufeln konnte, auch unter Einbeziehung seiner Herkunft und Erziehung – natürlich immer mit der Prämisse, dass er nur als Einzelner so böse war und dass seine Landsleute von der Verteufelung ausgenommen wurden.

Man kann also in der Berichterstattung zu den hier geschilderten Mädchenmorden insgesamt eine gewisse Enttabuisierung, eine wachsende Offenheit konstatieren, so wie auch die Gerichtsurteile in allen drei Fällen nachvollziehbar und frei vom Migrantenbonus waren - das allerdings wohl hauptsächlich darum, weil diese drei Fälle stark im Fokus der medialen Öffentlichkeit und unter der Aufsicht des Volkszorns standen. Von daher bleibt auch trotz allem das Gefühl, dass dieses Thema noch immer nicht stimmig und befriedigend in den Medien dargestellt wird. Noch immer spürt man in den meisten Berichten das Bestreben, die Wahrheit mit der politischen Korrektheit zu vermengen, die ständige Vorsicht, auch ja nichts Heikles oder Gefährliches zu schreiben, und die Neigung, den dummen Leser zu belehren und zu erziehen. Solange sich daran nichts ändert, kann kein ehrlicher Journalismus gedeihen.

 

Achtung: Dieser Aufsatz ist das "Abfallprodukt" einer größeren Arbeit, die mich gerade beschäftigt. Es geht um das Thema Migrantenbonus (oder auch "Kulturbonus") vor Gericht. Zu den geschilderten Rechtsbeispielen (hier ist es der Fall Frederike von Möhlmann) ziehe ich jeweils Parallelen heran. Sie sollen mit der Zeit eine kleine Reihe von historischen Kriminalfällen bilden, die ich in meinem Blog einstellen werde.

 

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